Kommentar zum Ghost-FestivalEin trostloses Musikfest
Am Wochenende findet eine Solidaritätsaktion für Schweizer Musikschaffende statt: das Ghost-Festival. Es hätte ein Freudentag sein können. Doch es verkommt zur Totenmesse. Leider.
Das Line-up ist fett. Patent Ochsner, Big Zis, Lo & Leduc, 11ä, Annie Taylor. Insgesamt 295 Schweizer Bands – bekannte und weniger bekannte – stehen auf dem Programm des Ghost-Festivals, das für dieses Wochenende angesagt ist. Im Vorfeld wurde es mit Plakaten in der ganzen Schweiz beworben.
Wer sich durch die Website klickt, merkt jedoch: Am Samstag und am Sonntag geschieht – nichts. Wer Tickets kauft, unterstützt die Künstlerinnen und Künstler, bekommt aber nichts geboten. Das Ghost-Festival ist das Festival, das nicht stattfindet. Und das ist ein schlechtes Zeichen. Wenn alle 1277 Musikschaffenden – ein Sammelsurium von Kreativität – nicht mehr als eine aufgeblasene Marketingkampagne hinkriegen, dann ist das beschämend. Und vor allem ist es ein Affront gegenüber all jenen, die während der Pandemie dafür gekämpft haben, dass die Kultur weiterlebt: Livestreams von Theatern, Schaufensterausstellungen, Open Airs mit kreativen Schutzkonzepten.
Klar: Die Situation der Musikschaffenden ist wegen der Pandemie prekär. Seit einem Jahr können sie nicht mehr oder nur vor wenig Publikum auftreten. Die finanzielle Unterstützung des Staates reicht bei weitem nicht aus.
Laut den Veranstaltern haben bis Anfang Februar bereits mehr als 12’000 Personen ein Ticket für das Ghost-Festival gekauft. Das hilft und macht Mut. Auch, dass grosse Sponsoren wie die Migros, die Swisscom und die Mobiliar mitziehen. Und doch muss man kritisieren, wie das Kollektiv aus der Berner Kulturszene die Veranstaltung aufgezogen hat.
Im Video zum Ghost-Festival schreitet eine Frau mit einem Leintuch über dem Kopf durch eine grosse Halle und sagt:«Wil jetzt, wo d Liechter glöscht sind, und de Sound verhallt, bini drum nur no en Geischt, wo niemer gruefe het.» Dass dies am Wochenende so ist – dafür sind die Veranstalter des Festivals selbst schuld. Sie nehmen den Künstlerinnen und Künstlern die Stimme, anstatt ihnen eine zu geben. Und sie beschwören einen Fatalismus herauf, der Musikliebhaberinnen entmutigt. Denn nicht nur die Bands vermissen die Synthesizerklänge, den Rauch und das durchgeschüttelte Bier, sondern auch ihre Fans. Während der Pandemie kann auch ein Livekonzert mit zehn Metern Abstand oder der noch so verpixelte Livestream wärmen. Doch am Ghost-Festival geschieht: nichts.
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Das sei ein bewusster Entscheid, sagte Mitorganisator Baldy Minder in einem Interview. Livestream-Konzerte seien undankbar und «tötelig» für die Bands: «Auf der Bühne willst du spüren, dass etwas zurückkommt.» Diese Aussage wirkt überheblich, zumal wegen des Coronavirus auch Künstler aus anderen Sparten sowie ganze Branchen darben und trotzdem alles für ihre Existenz tun. Das Ghost-Festival hingegen verschickt als Dank für die gekauften Tickets, die zwischen 20 und 100 Franken kosten, lediglich Eintrittsbändeli, mit denen man nirgends reinkommt. Und man kann eine CD kaufen.
Diese soll es bis in die Hitparade schaffen. Ein Livealbum der Nicht-Performances aller 295 Bands mit ihrem ureigenen Geistersound. Die Veranstalter preisen es als «einzigartiges und limitiertes Zeitdokument der Musikschaffenden aus der Schweiz».
Es hätte ein solches werden können. Doch so ist die CD, was sie ist: leer. Eine Hülle ohne Inhalt. So wie das ganze Ghost-Festival.
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