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Meinung

Analyse zum Kreuzverhör in den USA
Ein Tiktok-Verbot ist nur billige Ablenkung

Feindseliges Kreuzverhör: Tiktok-Chef Shou Zi Chew am 23. März bei einer Anhörung vor Abgeordneten des US-Parlaments.
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Verbieten oder nicht verbieten? Die Frage, ob die chinesische Video-App Tiktok gesperrt oder zwangsweise an eine US-Firma verkauft werden muss, sollte nicht so schwierig sein. Schliesslich macht Tiktok sein Geld gleich wie die US-Konkurrenten Facebook, Google oder Youtube mit dem Verkauf von Nutzerdaten.

Alle diese Plattformen verbreiten anstössige und falsche Informationen. Doch von einem Verbot von Instagram oder Youtube ist nicht die Rede. Weshalb also tut sich die US-Politik so schwer mit der populären chinesischen Plattform? (Mehr dazu: Tiktok wird «toxisch»: Warum die App weltweit unter Druck gerät.)

Zum einen sind Werbetreibende besorgt über die Qualität der Videos und die exzessive Selbstdarstellung vieler Nutzerinnen und Nutzer. Musiker in den USA mussten schon Konzerte unterbrechen, weil sie pausenlos von mediengeilen Tiktok-Nutzern bestürmt wurden.

«Tiktok frisst die Welt auf»

Und dennoch stürzt sich die Werbewirtschaft auf die App, weil sie der wichtigste Kommunikationskanal von jungen Erwachsenen geworden ist. Laut dem Datenanalysen-Unternehmen Sensor Tower verbringen die Nutzer von Tiktok durchschnittlich 96 Minuten pro Tag mit der App – fast fünfmal so viel wie mit Snapchat, dreimal so viel wie mit Twitter und fast doppelt so viel wie mit Facebook und Instagram.

«Tiktok frisst die Welt auf», sagt Rich Greenfield von Lightshed Partners, einem auf Medien und Techfirmen spezialisierten Analysehaus. Das sei ein Problem für die etablierten US-Anbieter. «Wenn Tiktok Marktanteile stiehlt, ist das schlecht für das Werbegeschäft der anderen Plattformen.» Zwar sehen sich die USA gerne als letzten Hort des freien Wettbewerbs und der offenen Märkte. Doch wenn nun mit Tiktok ein potenter Konkurrent auf den US-Markt eindringt und Anteile abgräbt, ist plötzlich die «nationale Sicherheit» in Gefahr.

Die Anhörung war feindselig, und die Parlamentarier waren über weite Teile schlecht informiert.

Zum anderen führte der US-Kongress vergangene Woche eine ganz andere Debatte, als Tiktok-Chef Shou Zi Chew zu einer fünfstündigen Anhörung vorgeladen wurde. Die Empörung war gross und das Interesse an einer sachlichen Debatte gering. Die Anhörung war feindselig, und die Parlamentarier waren über weite Teile schlecht informiert. So dauerte es fast vier Stunden, bis der Gründer des Tiktok-Mutterhauses Bytedance, Zhang Yiming, erwähnt wurde – doch nur am Rand und ohne die Machtstrukturen des Internetkonzerns in China selbst auszuleuchten.

Dafür stellten fünfzig Abgeordnete die immer gleichen Fragen zur sozialen Verantwortung und zum Kinderschutz auf Tiktok. Es waren die gleichen Fragen, die früher schon die Chefs von Facebook, Twitter und Google beantworten mussten, ohne dass dies zu einer schärferen Regulierung geführt hätte.

Bevor Chew antworten konnte, wurde er unterbrochen. Der Plan des Unternehmens, die Kontrolle in den USA an den Softwarekonzern Oracle abzugeben, wurde ignoriert. Denn man kannte die Antwort bereits: Tiktok ist eine Waffe der chinesischen Regierung zur Unterwanderung der USA. Sie muss verboten oder enteignet werden.

Eine gefährliche Vorlage

Zwar kann sich Tiktok als Tochterfirma der chinesischen Bytedance nicht auf die Freiheit der Meinungsäusserung in der US-Verfassung berufen, aber die 150 Millionen Nutzerinnen und Nutzer können es. Diese Sicht haben US-Gerichte bis hin zum Supreme Court in den vergangenen Jahren wiederholt bestätigt. So auch vor zwei Jahren, als Präsident Donald Trump die chinesische App We Chat verbieten wollte, dies aber unter dem Druck der zumeist jugendlichen Nutzer und einer negativen Stellungnahme des Obersten Gerichts fallen liess.

Präsident Joe Biden scheint einem Verbot zugeneigt, auch wenn seine Handelsministerin gewarnt hat, dass er so auf einen Schlag 35 Millionen junge Wählerinnen und Wähler verlieren werde.

Verlieren könnte Biden aber auch progressive Demokraten rund um die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Sie widersetzte sich in einem Tiktok-Video, ihrem ersten überhaupt, vehement einem Verbot. Zum einen sei die Regierung bisher jeden Beweis schuldig geblieben, dass die App ein nationales Sicherheitsrisiko darstelle. Zudem sei ein Verbot willkürlich und würde nichts am Grundproblem des grenzenlosen Datensammelns durch alle digitalen Plattformen ändern.

Für den Schutz der User vor Übergriffen der Techfirmen genügt eine Attacke auf Tiktok nicht.

Ein Tiktok-Verbot ist gemäss Fachleuten nicht durchsetzbar, es könnte leicht umgangen werden. Gleicher Meinung sind führende Verfassungsschutzorganisationen wie die American Civil Liberties Union. Sinn und Zweck der Meinungsäusserungsfreiheit sei ja gerade, Informationen zuzulassen, die nicht erwünscht seien und polarisierten.

Wenn die USA wirklich daran interessiert wären, die Nutzer vor den Übergriffen der Techunternehmen zu schützen, so genügt eine Attacke auf Tiktok nicht. Alle digitalen Plattformen profitieren von den ungenügenden Datenschutzbestimmungen der USA, nicht nur Tiktok.

Ein isoliertes Verbot ist nur ein opportunistisches Ablenkungsmanöver. Es schafft eine gefährliche Vorlage für despotische, autoritäre oder protektionistische Regierungen, die die nationale Sicherheit vorschieben, um die Bevölkerung zu gängeln und den Wettbewerb zu verhindern. Wie das zum Selbstverständnis des freien Amerika passen soll, bleibt ein Rätsel.