Serie «Ein Tag im Leben»«Wir haben eigentlich wegen der Häsin geheiratet»
Die Zürcherin Sarina Kürsteiner (36) lebt in Manhattan und ist Professorin für mittelalterliche Geschichte. Manchmal nimmt sie einen Hasen mit an die Uni.
Heute ist ein spezieller Tag. Am Nachmittag hole ich Bagel ab, unseren zweiten Hasen. Er wurde im Central Park ausgesetzt und stand danach im Schaufenster einer Tierarztpraxis für exotische Tiere an der Upper West Side zur Adoption. Das ist eine Praxis wie aus dem Bilderbuch. Ich musste mit unserer Häsin IPA wegen einer Leberlappentorsion dorthin. Und wer sass im Wartezimmer neben uns? Eine röchelnde Eidechse.
Auch mein Mann und ich entsprechen dem Klischee der Manhattaner, die ihr Haustier am liebsten direkt im Tragetuch in die Subway nehmen. Nur will IPA nicht ins Tragetuch. Also packe ich sie heute Nachmittag in ihr Kistchen, um mit ihr in einem Uber den süssen Bagel in der Praxis abzuholen. In unserem kleinen Apartment steht schon alles bereit, damit sich die beiden aneinander gewöhnen können. Zwei Gehege für die Nacht, eine spezielle Zone für die zwanzig Minuten Dating am Tag und der Rest fürs Exercise.
Eigentlich haben mein Mann und ich wegen IPA geheiratet. Oder anders gesagt: Die Häsin war unser Zeichen, dass wir ein Paar sind. Als wir sie vor zwei Jahren kauften, wussten wir nämlich noch nicht, ob wir jemals am gleichen Ort wohnen würden. Ich war am Abschluss meiner Dissertation in Mittelaltergeschichte an der Columbia University in New York und war auf der Suche nach einer Forschungsstelle – idealerweise in der Nähe meines Mannes, der eine Professur in Princeton hat.
Damals hatte ich seit über zwei Jahren kein eigenes Zuhause mehr. Wegen der Pandemie, der auslaufenden Aufenthaltsbewilligung und meiner ungewissen beruflichen Zukunft zog ich von Ort zu Ort, von den geschlossenen Archiven in Bologna zu meinen Eltern in die Schweiz, zu meinem Mann in den USA und wieder zurück, schliesslich für eine Postdocstelle nach Haifa. Dass ich vor einem Jahr eine Assistenzprofessur für Geschichte des europäischen Mittelalters zweieinhalb Stunden entfernt von New York erhielt, grenzt an ein Wunder. In den USA waren in dem Jahr nämlich genau zwei Professuren auf meinem Gebiet ausgeschrieben. Jetzt bin ich einfach nur glücklich, diese tolle Stelle und ein richtiges Zuhause zu haben – auch wenn ich im ersten Jahr manchmal fast unterging vor Arbeit.
Auch jetzt arbeite ich viel, während des Semesters meist zwölf Stunden am Tag, und das Wochenende habe ich an einer Konferenz verbracht. Aber ich sage mir oft: Was für ein Privileg, dass ich dafür bezahlt werde, mittelalterliche Manuskripte zu studieren und junge Leute zu unterrichten!
Abgesehen von den beiden Unterrichtstagen pro Woche teile ich mir meine Tage ein, wie ich will. Heute war ich um fünf Uhr wach und habe im Bett gearbeitet, bis mein Mann wach war. Dann gab es Kaffee, gemeinsames Hasenstallausmisten, ich ging Grünzeug kaufen und bin dabei in Freundinnen aus dem Studium hineingerannt. Am Mittag ging es weiter mit Arabischlernen für meine Forschung, es folgten Meetings.
Am Abend arbeiten mein Mann und ich nach dem Essen oft weiter, jetzt eben mit zwei Hasen, die auf den Laptops rumturnen. Und dann fahre ich entweder noch zu meiner Zweitwohnung bei der Uni in Schenectady, oder ich stehe am nächsten Tag um fünf auf, um rechtzeitig in meinem Seminar zu sein.
Weil Hasen nicht gern allein sind, müssen wir immer schauen, dass jemand hier in New York ist, wenn wir beide an einer Konferenz sind. Aber zum Glück gibt es viele Student:innen, die Rabbitfans sind. Dann lassen wir den Schlüssel einfach in der Lobby, und jemand anderes arbeitet in unserer Wohnung mit Hasen auf dem Laptop. Ob ich IPA schon in den Unterricht mitgenommen habe? Natürlich! Meine Student:innen fragen sogar, ob sie zu meiner Abschlusslektion kommt. Und dann stehen andere vor der Tür und fragen, ob dies das Seminar mit «IPA Rabbit» sei.
Protokoll: Melanie Keim
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