Serie «Ein Tag im Leben»«Ich war der erste Handwerker in der Familie»
Dario Kuster (26) arbeitet bei einem Eventausstatter in Schlieren. In der Weihnachtszeit herrscht Hochbetrieb.
Heute, an einem Tag, an dem es viel zu tun gibt, aber keinen Event, der aufgebaut oder abgeräumt werden muss, klingelt der Wecker um 6.15 Uhr. Bialetti, Insta scrollen, WOZ lesen, mit dem Tram oder der Vespa von Zürich-Bäckeranlage nach Schlieren fahren. Arbeitsbeginn um acht. Manchmal aber auch um zwei Uhr morgens. Wenn es wie im August wenig zu tun gibt, arbeite ich auch mal nur vier Stunden und verbringe den Rest des Tages am See. Diesen Monat arbeite ich praktisch durch: neun, zehn, zwölf Stunden am Tag. Seit Mitte Oktober ist Hochsaison für Eventausstatter.
Wir machen vor allem Corporate-Geschichten, Messen, Generalversammlungen, Firmenessen, Weihnachtsessen, Weihnachtsmärkte, Silvesterpartys … Letzte Woche haben wir einen Event für 900 Leute reingekriegt, der nächste Woche stattfindet. Dann laufe ich erst mal durchs Lager und schaue, was wir haben. Bei 2000 Quadratmetern Lagerfläche mit sechs Meter hohen Regalen ist die Frage aber eher, was wir nicht haben. Klar haben wir die Basics: Tische, Stühle, Beleuchtungskonzepte, Vasen, Kunstpflanzen.
Aber auch viel Abgespacetes: eine alte Kanzel als Bar, einen Triceratops, ein echtes amerikanisches Polizeiauto aus den Siebzigern, drei Paletten Orientteppiche, Gondeln, tausend alte Bücher, damit die Bibliothek auch echt aussieht, antike Putschautos, einen Trevibrunnen … Und was wir nicht haben, bauen wir.
Wir sind keine Cateringfirma, die ein paar Tische mit bisschen Deko aufstellt. Wir inszenieren, erzählen eine Geschichte, erschaffen eine Welt, in die man kurz abtaucht. Nur sind wir keine Künstler, sondern Chrampfer. Wir haben einen Industrieschweisser, einen Stromer, ich selber bin Zimmermann. Weil es für diesen Job nicht wirklich eine Lehre gibt, haben wir auch viele Quereinsteiger im Taglohn.
Oft besteht die Arbeit aus: Laster laden, ausladen, aufstellen, roten Teppich legen – und manchmal bist du auch einfach zwei Tage am Kissenbezügewaschen. Sicher, dafür musst du nicht zwingend ein Handwerk gelernt haben. Aber manchmal kriege ich beim Zuschauen fast die Krise: Wenn du nach zwanzig Jahren in diesem Business noch nicht gecheckt hast, dass man die Ladung im Laster sichern muss, dann mach besser Büro.
Die Baustelle vermisse ich trotzdem nicht. Zu viele Chnuschtis, die in der Zeit stehen geblieben sind: «Früher, früher, früher.» Und die Patrons – nein danke. Als ich auf dem Bau war, habe ich mich stärker gewerkschaftlich engagiert, weil es dort noch Gewerkschaften gibt. Dadurch ist die Bezahlung zwar massiv besser, aber Geld ist auch nicht alles.
Mein jetziger Job kommt mit mehr Freiheit und wenigstens einem Mü Kreativität. Was aus Baustellenzeiten geblieben ist: Mittag ist die wichtigste Mahlzeit. Schlag zwölf, wenn möglich. Heute im Restaurant: Nüdeli mit einem Stück Fleisch und Rahmsauce. Klassisches Büezeressen halt.
Ich war der erste Handwerker in der Familie. Vor mir vier Generationen mit akademischer Laufbahn. Ich habe das Gymi mit sechzehn abgebrochen. Bekifft, kein Plan, warum nicht Zimmermann? Beste Entscheidung meiner Jugend. Trotzdem bewege ich mich nach Feierabend – bei Drinks, Konzerten oder anderen Kulturveranstaltungen – bis heute grösstenteils in linksakademischen Kreisen. Eh begegnen mir dort manchmal Vorurteile. Besonders von studierten Männern, die, wenn sie hören, was ich beruflich mache, angestrengt mit mir über Fussball oder Formel 1 statt über Politik reden wollen. Über Politik weiss ich Bescheid, Sport interessiert mich null, aber ich kann mich schon drauf einlassen, wenn du das willst. Habe schliesslich auf dem Bau gearbeitet, oder? Ich finds eher amüsant als beleidigend. Handwerker – Akademiker: Das ist kein Dualismus, ausser, du machst einen draus.
Protokoll: Anja Conzett
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