Serie «Ein Tag im Leben»«Auf Spotify veröffentliche ich nicht»
Anna Frey (36) hat vor kurzem ein Lied fertiggestellt, an dem sie drei Jahre lang gearbeitet hat. Auf Erfolg hofft sie nicht.
Am Tag, als meine neue Single «Sistema Solare» erschien, bin ich um 7.30 Uhr aufgestanden. Das ist eigentlich ein bisschen später als normal. Ich wache lieber früh auf, gegen 6.30, weil ich gern am Morgen schreibe. Am liebsten schreibe ich von Hand, an meinem Küchentisch. Neues entsteht handschriftlich, später überarbeite ich am Computer. Ich wohne zusammen mit meiner Tochter in einer 3-Zimmer-Wohnung im Zürcher Kreis 3. Der Release-Tag war ein sehr ruhiger Tag.
Mein Leben befindet sich immer in einer von zwei Phasen. Es gibt die Kreationsphase. Und dann folgt die Organisationsphase, also wenn etwas abgeschlossen ist und die Veröffentlichung ansteht. Jetzt war die Zeit für Organisation. Das Lied war seit dem Morgen online, ich checke also kurz, ob die Single auf allen Streaming-Plattformen verfügbar ist. Bandcamp, Deezer, Tidal, Apple Music.
Auf Spotify veröffentliche ich nicht. Neunzig Prozent der Spotify-Einnahmen gehen an ein Prozent der Musikerinnen und Musiker. Das will ich nicht unterstützen. Heutzutage können nicht einmal erfolgreiche Musiker von ihren Streaming-Einnahmen leben. Meine Hörerzahlen sind gering, aber das ist Nebensache. Ich will mich nicht nach der Nachfrage richten. Bei Kunst kann man sich nicht am Aussen orientieren.
«Sistema Solare» ist ein melancholisches Liebeslied darüber, dass man sich immer fremd bleibt. Lieder beginnen oft mit einem Text von mir, und dann macht mein Mann, der Jazzgitarrist Flo Stoffner, eine Kompositionsskizze, die wir mit der Band ausarbeiten. Fast drei Jahre haben wir an diesem Lied gearbeitet.
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Eigentlich müsste ich das jetzt, an diesem Vormittag, promoten, aber ich hab wenig Zeit für Social Media. Um 8 bringe ich meine Tochter in den Kindergarten. Danach geht es um 9.30 Uhr zur Arbeit in ein Zürcher Museum, wo ich als Aufsicht arbeite. Es ist ein ruhiger Tag, mein Handy ist ausgeschaltet, Presse ruft eh nicht an. Ich kann mir die Werke anschauen, Gedanken nachhängen. Ich fühle mich wohl. Es ist schön. Ich komme mit Menschen ins Gespräch und kann ihnen die Werke zeigen.
Ich liebe Malerei. Und ich liebe es, mit Menschen zu kommunizieren. Das ist mein Wunsch. Ohne Kommunikation verkümmere ich. Meine erste EP habe ich mit achtzehn Jahren rausgebracht, mein erstes Buch mit sechsunddreissig. «So eine ist sie», heisst es. Seit 2006 habe ich neun Platten veröffentlicht, die Single ist meine zehnte Veröffentlichung. Unsere Musik kreuzt Pop, Rap, Punk und Jazz. Die Hauptsache sind für mich die Konzerte. Und da helfen Veröffentlichungen. Im Oktober habe ich drei Abende im Moods in Zürich kuratiert, meine «Carte Blanche». Im November habe ich in Sion und in Winterthur gespielt. Als Lyrikerin bin ich alleine auf der Bühne oder im Duo mit Flo. Sonst mit meiner Band.
Nach der Arbeit fahre ich wie so oft mit dem Velo an den See, zur Schiffanlegestelle. Der Himmel ist immer anders. Das Wasser auch. Das beruhigt mich. Dann geht es wieder heim. Ich bin eine professionelle Velofahrerin. Bei jedem Wetter. Seitdem ich ein Kind habe, sogar mit Licht. Ich bin schnell unterwegs. Die Sonntagsfahrerinnen mit Plastikblumen am Körbchen nerven mich.
Zu Hause höre ich meine Tochter, die mich aus dem Garten ruft. Ich freue mich. Wir schauen mein Musikvideo auf Youtube an. Sie will wissen, warum sie nicht im Video ist. Das «Sistema Solare»-Video haben bis zum Abend etwa hundert Leute angeschaut. Ich hab da wochenlang dran gearbeitet. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Aber darum geht es nicht.
Dann machen wir Spaghetti. Ich lese Astrid Lindgren vor. Halte Händchen. Sie schläft ein. Ich gehe wieder an den Küchentisch und bereite die Proben vor, die morgen beginnen. Jeder Übergang zwischen Liedern will überdacht werden.
Protokoll: Hannes Grassegger
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