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Serie «Ein Tag im Leben»
«Fussball! Ich kann einfach nicht genug davon kriegen»

«Fussball. Ich kann einfach nicht genug davon kriegen»: Charles Pickel.
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Fussball ist mein Beruf. Das ist so. Von meinem Einkommen leben wir als vierköpfige Familie. Doch worum es wirklich geht, ist das Spiel am Wochenende. Es ist der Höhepunkt der ganzen Woche. Die Anspannung. Das Ambiente. Die Fans. Dafür spielt man.

Italien ist fussballverrückt. Auch hier in Cremona, in der Serie B. Wir sind leider abgestiegen. Aber bei prominenten Gegnern wie Bari, Palermo oder Parma ist auch hier das Stadion voll, und die Fans in der Curva Sud singen die ganze Partie lang durch. Von ihrer Begeisterung lebe ich. Sie erwarten viel von dir. Für mich war das aber noch nie ein Problem, ich brauche diesen Druck.

An den Wochentagen ist Training. Am Morgen stehe ich mit meiner Familie auf, doch das Frühstück esse ich draussen im Centro Sportivo. Zwischen halb neun und neun treffen wir dort ein und bedienen uns am Buffet. Alle sind locker und sitzen in kleinen Gruppen beieinander. Einige setzen sich an die Tische, wo es grad Platz hat. Andere essen mit den immer gleichen Kumpels. Mit der Zeit entwickeln sich auch Freundschaften.

Im Training dann spielt das keine Rolle mehr. Spätestens nach dem Aufwärmen, wenn die erste Übungseinheit beginnt, sind wir achtundzwanzig Konkurrenten. Wenn du in der Startelf stehen willst, musst du besser sein als die anderen. Der Trainer soll sehen, dass du alles gibst und bereit bist.

Zum Training gehört meist auch ein kleines Match innerhalb der Mannschaft. Dort wenden wir an, was vorher in Videos und bei den Übungen das Thema war. Hohes Pressing. Schnelles Umschaltspiel. Oder das Spiel über die Flanken. Auch hier will jeder einen guten Eindruck machen.

Letzte Saison lief es gut für mich. Damals spielte Cremona in der Serie A, und ich wurde regelmässig eingesetzt, fast immer in der Startelf. Inter Mailand, Napoli, Juventus, Roma – ich habe gegen all die Grossen gespielt. Doch als wir abstiegen, begann es auch für mich zu harzen. Zum ersten Mal in meiner Profikarriere wurde ich nur kurz eingesetzt. Oder auch gar nicht. Das war enttäuschend. Früher habe ich solche Sachen mit mir allein ausgemacht. Doch jetzt rede ich mit meiner Frau darüber. Sie hat meine ganze Karriere begleitet, und sie sieht sofort, wie es mir geht.

Im Oktober kam dann die Wende. Es begann mit dem Höhepunkt meiner Fussballkarriere, meinem ersten Einsatz für die kongolesische Nationalmannschaft im Stade des Martyrs in Kinshasa. Ein WM-Qualifikationsspiel gegen den Sudan. Wir waren die Favoriten, und wir haben auch gewonnen. Die Begegnung bleibt aber nicht wegen des Siegs in Erinnerung, sondern wegen der Kulisse: Im Stadion waren 80’000 begeisterte Menschen, die uns anfeuerten. Ich war mittendrin, und ich dachte an meine kongolesische Mutter. So konnte ich ihr etwas von dem zurückgeben, was sie mir gegeben hat.

Seither läuft es auch in Cremona wieder besser. Die letzten vier Begegnungen haben wir gewonnen. Jedes Mal stand ich in der Startelf, und bei den Heimspielen konnte ich zusammen mit den andern wieder richtig stolz zur Curva Sud laufen. Dort bedankst du dich bei den Fans. Sie strahlen und klopfen dir auf die Schultern, und du weisst, du hast sie glücklich gemacht.

Auch nach einem Sieg beginnt die Woche mit einem ganz normalen Training, und nachher isst das Kader zusammen zu Mittag. Immer italienisch. Um 14 Uhr bin ich wieder daheim. Die Nachmittage gehören meistens der Familie. Oft lege ich mich mit dem Kleinen ins Bett, bis er einschläft. Und dann fahren wir alle in eine Badi oder auf einen Bauernhof. Das Abendessen, so um 20 Uhr herum, ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, weil wir dann alle zusammen sind. Und wenn die beiden Kinder schlafen, schaue ich – ja, tatsächlich – Fussball. Ich kann einfach nicht genug davon kriegen.

Protokoll: Hanspeter Bundi