Migros testet neuen ServiceErstmals ist ein Lieferwagen ohne Fahrer auf Schweizer Strassen unterwegs
Die Migros liefert online bestellte Lebensmittel mit einem autonomen Wagen aus – und hält es für denkbar, dies bald in vielen Dörfern zu tun.
Die Migros geht bei der Logistik neue Wege: Wie der Detailhändler am Mittwochmorgen bekannt gab, testet er ab sofort zusammen mit dem Lift- und Rolltreppenhersteller Schindler und dem Berner Jungunternehmen Loxo einen Lieferdienst mit selbstfahrenden Fahrzeugen.
Und so funktioniert der sechsmonatige Versuch: Angestellte von Schindler mit Sitz im luzernischen Ebikon können im Internet eine Bestellung aufgeben. Zur Auswahl stehen 15’000 Produkte, darunter auch Nahrungsmittel. Mitarbeiter der benachbarten Migros-Filiale in der Mall of Switzerland beladen das spezielle Lieferfahrzeug mit den bestellten Produkten. Es fährt dann mit höchstens 30 Stundenkilometern zum 500 Meter entfernten Firmengelände von Schindler. Wenn es dort ankommt, können die Angestellten von Schindler mit einem Code das Fach mit ihrer Bestellung öffnen und ihre Einkäufe herausnehmen.
Vorerst findet eine Fahrt pro Tag statt. Bestellungen nimmt die Migros bis 13 Uhr entgegen. Kurz vor 16 Uhr legt der Lieferwagen die Strecke zum Hauptsitz von Schindler zurück und steht dort bis 18 Uhr. In dieser Zeit können die Angestellten ihre angeforderte Ware entgegennehmen. Geplant ist, dass in der letzten Phase des Tests mehrere Fahrten pro Tag durchgeführt werden. Der neuartige Lieferservice heisst «Migronomous», ein Kofferwort aus Migros und dem englischen Begriff «autonomous», für selbstständig.
Platz für 64 Einkaufstaschen
Drei Ingenieurinnen und Ingenieure von Loxo haben den Wagen vollständig in der Schweiz entwickelt und gebaut. Es ist das erste selbstfahrende Lieferfahrzeug, das auf einer öffentlichen Schweizer Strasse unterwegs ist. Dafür liegt eine entsprechende Genehmigung des Bundesamts für Strassen vor. Denn die Strecke, die der Wagen zurücklegt, hat durchaus ihre Tücken. Entlang der Strasse gibt es einen Kreisel, Fussgängerstreifen und Trottoirs.
Sensoren ermöglichen die Autonomie des Fahrzeugs mit Namen Loxo Alpha. Sie erfassen ständig die Umgebung, Passantinnen und Passanten, den Verkehr und die Verkehrssignalisation. Dank Elektromotor fährt der Wagen frei von Abgasen. Das Gefährt kann bis zu 64 Einkaufstaschen auf einmal transportieren.
«Darin liegt grosses Potenzial, den privaten Verkehr auf den Schweizer Strassen zu reduzieren, weil Kundinnen und Kunden nicht mehr mit dem Auto ihre Einkäufe erledigen müssen», sagt Lara Amini, Mitbegründerin von Loxo. Das Jungunternehmen ist aus dem Umfeld der Fachhochschule Freiburg hervorgegangen, wo Amini mit ihren beiden Geschäftspartnern Amin Amini und Claudio Panizza zu autonomen Fahrzeugen geforscht hat.
Das Interesse am Loxo Alpha ist gross, es liegen Anfragen aus acht europäischen Ländern vor. Zum Verkaufspreis des Lieferwagens macht Amini keine Angaben, spricht aber von einem fünfstelligen Frankenbetrag.
Für die Migros kann diese Art von Technologie bald eine wichtige Rolle bei der bedarfsgerechten Belieferung ihrer Kundinnen und Kunden spielen. «Wir können uns durchaus vorstellen, dass der selbstfahrende Lieferdienst zukünftig eine Ergänzung zu unserer bestehenden Transportflotte darstellen könnte», sagt Rainer Deutschmann, Leiter Direktion Sicherheit und Verkehr beim Migros-Genossenschaftsbund. So sei es denkbar, selbstfahrende Lieferwagen in Dörfern einzusetzen.
Deutschmann verweist auf die zunehmende Bedeutung des Onlinegeschäfts für den Detailhändler. Im vergangenen Geschäftsjahr erwirtschaftete die Migros damit einen Umsatz von 3,7 Milliarden Franken. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr ein Wachstum von 15,6 Prozent. Der Anteil von Migros.ch betrug dabei 328 Millionen Franken. Aushängeschild ist Digitec Galaxus, der grösste Onlinemarkt der Schweiz. Die Tochtergesellschaft trug 2,2 Milliarden Franken zum Gesamtumsatz mit dem Onlinehandel bei.
Gestiegen sind aber auch die Ansprüche der Kundschaft. Diese kann inzwischen nicht nur 24 Stunden am Tag bestellen, sondern möchte die Ware am liebsten auch rund um die Uhr in Empfang nehmen. Das stellt Händler vor neue Herausforderungen. Fehlende Lieferkapazitäten lautet ein Stichwort. Deshalb sind neue Ansätze bei der Logistik gefragt.
Im Gegensatz zum herkömmlichen Lieferservice, der eine Bestellung im Paketfach oder vor der Haustüre hinterlässt, setzt «Migronomous» jedoch auf physische Präsenz vor Ort. Die Migros ist sich dieses Mankos bewusst, betrachtet feste und regelmässige Abholzeiten jedoch als zusätzliches Angebot. Laut Deutschmann soll der laufende Test mithelfen herauszufinden, ob es ein Bedürfnis dafür gibt.
Ob die Migros das Projekt nach Abschluss des Versuchs weiterverfolgt, hängt von drei Faktoren ab: Sicherheit, Machbarkeit und Rentabilität des selbstfahrenden Lieferservices.
Externe Zentrale beaufsichtigt Fahrten
Die futuristischen, weissen Lieferwagen verkehren vorerst von Montag bis Freitag zwischen der Migros-Filiale und dem Firmengelände von Schindler. Sie fahren jedoch nicht von Anfang an komplett selbstständig, sondern werden schrittweise in die vollständige Autonomie geführt.
In der ersten Phase des Versuchs überwacht noch eine Operationszentrale jede Fahrt. Ein Mitarbeiter von Loxo hat so die Möglichkeit, jederzeit einzugreifen und wenn nötig eine Notbremsung einzuleiten. Erst wenn das Fahrzeug diesen Teil des Tests zuverlässig und ohne Zwischenfälle absolviert, wird es ohne Kontrolle von aussen fahren.
Fehler gefunden?Jetzt melden.