Autonomes FahrenBlickkontakt mit den Roboterautos
Schon die nonverbale Kommunikation zwischen menschlichen Autofahrern ist kompliziert. Maschinen stellt die Verständigung mit anderen Verkehrsteilnehmern vor besonders grosse Aufgaben.
Keine Stimme, keine Mimik und keine Körpersprache – Roboterautos werden die am schwersten zu durchschauenden Verkehrsteilnehmer im Strassenverkehr der nahen Zukunft sein. Damit die stummen Maschinen demnächst kein Sicherheitsrisiko an Kreuzungen und Übergängen sind, müssen sie eine verständliche Sprache erlernen, mit der sie sich Fussgängern, Radfahrern und menschlichen Autofahrern mitteilen können. Wie diese aussehen könnte, wird zurzeit verhandelt.
Dass Roboautos mit ihrer Umwelt kommunizieren müssen, ist für Entwickler und Hersteller schon lange klar. Nur beim «Wie» herrschte weitgehend Orientierungslosigkeit. Jeder Prototyp und jede Studie verfolgte einen eigenen Ansatz: Audi etwa experimentierte mit Projektionen, Lichtsymbolen, die das Auto mittels der Scheinwerfer auf die Strasse wirft und dort von anderen Verkehrsteilnehmern gelesen werden. Der schwedische Zulieferer Semcom setzte auf ein Bildschirmgesicht auf dem Kühlergrill, das Passanten freundlich zulächelt, wenn diese die Strasse überqueren sollten. Ähnlich menschelnd: die riesigen Elektroaugen von Jaguar. Inklusive Lid, Iris und Pupille sollten sie Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern aufnehmen. So stimmig und interessant die Ideen jeweils sind: Wildwuchs funktioniert im Strassenverkehr nicht. Wenn autonome Autos in grosser Zahl auf die Strasse rollen, brauchen sie eine einheitliche Sprache. Es ist nicht vorstellbar, dass jeder Autohersteller seine eigene Lösung etabliert.
17 Regeln für Mensch-Maschine-Schnittstellen
Der Ingenieur Stephan Cieler sucht nach der universalen Kommunikationsform für Roboautos. Der Entwickler beim Zulieferer Continental arbeitet unter anderem in den ISO-Normungsgremien an der Standardisierung sogenannter externer und dynamischer Mensch-Maschine-Schnittstellen («Human Machine Interface»). Ihn beschäftigt, wie sich Roboterfahrzeug und lebendige Verkehrsteilnehmer künftig am sichersten austauschen können. Etwa am Zebrastreifen, wo die wichtigste Frage lautet, ob das Auto auch wirklich anhält, wenn man auf die Fahrbahn tritt. Oder an Verengungen, wo zwei Autofahrer sich über die Vorfahrt einigen müssen.
Cieler und sein Team haben zunächst 17 Regeln für Mensch-Maschine-Schnittstellen entwickelt. So etwas wie das grundlegende Regelwerk der Kommunikation zwischen dem Auto und seiner belebten Umwelt. Die Signale des Autos müssen eindeutig sein und darüber hinaus mit dem sonstigen Verhalten des Fahrzeugs übereinstimmen. Zeigt das Auto einem anderen Verkehrsteilnehmer an, dass es an einer Kreuzung wartet, darf es danach nicht noch kurz bis zur Haltelinie beschleunigen. Eine einmal gesetzte Botschaft kann darüber hinaus nicht im Zuge der Kommunikation wieder geändert werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass Signale für andere Verkehrsteilnehmer unter allen Wetter- und Lichtbedingungen immer klar erkennbar sind.
Am Ende ist eine verblüffend simple Sprachmechanik herausgekommen. «Wir glauben, dass die Kommunikation visuell sein muss, sehr, sehr einfach, und dass nur wenige Botschaften nötig beziehungsweise sinnvoll sind», so Cieler. So liesse sich auch die Gefahr von Missverständnissen reduzieren. «Wenn das Auto beispielsweise ‹ich habe dich gesehen› signalisieren soll, mag das bei einem einzelnen Passanten noch sinnvoll sein. Wen aber meint das Fahrzeug in einer Gruppe oder einer Menschenansammlung?», gibt der Ingenieur ein Beispiel. Gegen die Kommunikation von Instruktionen oder Aufforderungen führt er das gleiche Argument an – wer in solchen Fällen als Adressat gemeint ist, lässt sich im städtischen Verkehrsgewimmel für andere Verkehrsteilnehmer nicht immer sicher feststellen. Am Ende sind daher gerade einmal zwei Botschaften nötig, die das Roboterauto in die Umwelt sendet: «Autonomes Fahren aktiv» und «ich gewähre dir Priorität».
Ein türkises Lichtband um das Auto
Für die konkrete Gestaltung des Roboterauto-HMIs hat Cieler einen Vorschlag. Auch der ist bestechend simpel: Ein türkises Lichtband um das Fahrzeug herum zeigt an, dass es sich im autonomen Modus befindet. Wenn es blinkt, teilt es mit, anzuhalten und dem anderen Vortritt oder Vorfahrt zu lassen. Türkis deswegen, so Cieler, weil die Farbe anders als blaues oder gelbes Blinklicht im Verkehr noch nicht belegt sei. Und weil sie keine Instruktion impliziert – wie etwa rotes Stopplicht oder ein Grün, das freie Fahrt suggeriert.
Ob sich Cielers Ansatz bei Industrie, Wissenschaft und Politik durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht, gehen laut dem Forscher doch auch die Ansätze anderer Gremien in eine ähnliche Richtung. Simpel, intuitiv und allgemeinverständlich wollen sie alle sein. Bis es einen mindestens europa-, wenn nicht weltweiten Standard gibt, werden nach Einschätzung Cielers aber noch rund zehn Jahre vergehen. Ein Zeithorizont, den viele Experten auch für die Marktdurchdringung des autonomen Fahrens ansetzen.
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