Vorschlag der UNOEin Grundeinkommen für die Ärmsten
Die Entwicklungsorganisation der UNO fordert angesichts der Corona-Krise für eine beschränkte Zeit Zuschüsse für die Ärmsten in Entwicklungsländern. Damit sie sich an die Vorsichtsregeln halten können.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNO) fordert ein Grundeinkommen für die Ärmsten in 138 Entwicklungsländern, die 83 Prozent der Weltbevölkerung umfassen. Das hat die Organisation letzte Woche kundgetan. In einem 26-seitigen Bericht hat sie den Vorschlag genauer umrissen. Das Papier nennt die Kosten des Vorschlags, wer dafür aufkommen soll und woran das Programm scheitern kann. Das sind die wichtigsten Punkte:
Der Grund für den Vorstoss
Wie in den reichen Ländern sind auch in den Entwicklungsländern hygienische Massnahmen nötig, um die Ausbreitung des Coronavirus einzugrenzen. Und wie in den reichen Ländern geht das zulasten wirtschaftlicher Aktivitäten. Viele Menschen verdienen in armen Ländern einen kargen Lebensunterhalt, indem sie informell ihre Dienste und Produkte anbieten. Anders als in den reichen Ländern existiert für sie aber keine vergleichbare soziale Absicherung. Wie der Bericht festhält, geben ärmere Länder pro Kopf im Durchschnitt zwischen 7 und 9.50 Dollar für Sozialversicherungen und Corona-Absicherungen aus, während es in reichen Ländern 121 bis 123 Dollar sind. Gemäss Schätzungen haben informell Beschäftigte in ärmeren Ländern im Schnitt schon im ersten Monat der Krise einen Einkommensausfall von 82 Prozent erlitten.
Die Empfänger sollen das Geld nicht bedingungslos erhalten. Es sollen nur die Ärmsten davon profitieren.
Die konkrete Ausgestaltung
Der Vorschlag der UNO-Unterorganisation unterscheidet sich wesentlich von anderen Ideen für ein Grundeinkommen, etwa jenem, der im Juni 2016 in der Schweiz zur Abstimmung gelangt ist: Erstens soll es nicht an alle bezahlt werden, sondern nur an die Ärmsten. Zweitens soll die Massnahme nur temporär Gültigkeit haben. Der Bericht schlägt eine Laufzeit von neun bis zwölf Monaten vor. Faktisch läuft der Vorschlag auf eine soziale Absicherung heraus, wie sie reiche Länder mit Sozialversicherungen kennen, allerdings als fixe Institutionen ohne Ablaufdatum.
In ihrem Bericht schlägt die Organisation drei Varianten für das Grundeinkommen vor, wovon zwei von den bisherigen Einkommen der Empfänger abhängen. Die betrachtete Armutsgrenze differiert je nach Entwicklungsland zwischen einem Einkommen von 1.90 Dollar und 5.50 Dollar pro Tag. Die erste Variante sieht einen Zustupf vor, der die Empfänger auf ein Einkommen von zwischen 3.20 und 13 Dollar pro Tag hebt – in Abhängigkeit von den örtlichen Lebenshaltungskosten. Unter diesen Niveaus droht gemäss dem Bericht der Absturz in die Armut. Die zweite Variante sieht einen Zustupf im Umfang der Hälfte des Medianeinkommens im Land vor, wobei mindestens die Armutsgrenze erreicht werden soll. Die dritte Variante setzt auf einen Zuschuss von 5.50 Dollar pro Tag, der den Armen und Gefährdeten in allen Entwicklungsländern bezahlt werden soll.
Für die Finanzierung verspricht sich die UNO-Organisation am meisten von einer temporären Aussetzung des Schuldendienstes durch die armen Länder.
Was das kostet
Bei der ersten Variante belaufen sich die Gesamtkosten gemäss Schätzung der Autoren auf insgesamt 200 Milliarden Dollar pro Monat, bei der zweiten auf 257 Milliarden und bei der dritten auf 465 Milliarden Dollar. Bei einer Dauer des Programms von neun Monaten entsprechen die Kosten bei der günstigsten ersten Variante 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Entwicklungsländer und bei der teuersten dritten Variante 5,6 Prozent. Die Autoren halten fest, dass auch ohne ihre Vorschläge Kosten einerseits für Nothilfe anfallen würden. Andererseits hätte eine ausbleibende Unterstützung wirtschaftliche Langzeitschäden zur Folge, weil viele Kleinstunternehmen verschwinden würden.
Wer das bezahlt
Für die Finanzierung verspricht sich die UNO-Organisation am meisten von einer temporären Aussetzung des Schuldendienstes durch die armen Länder. Allein im laufenden Jahr müssen die Entwicklungsländer 3,1 Billion Dollar für Schuldenrückzahlungen und Zinsen bezahlen. Damit könnte die Unterstützung gemäss der ersten Variante 16 Monate lang finanziert werden und die teuerste dritte Variante sechs bis sieben Monate lang. Ein weiterer Vorschlag zur Finanzierung setzt bei den Energiesubventionen an, mit denen viele Entwicklungsländer die Kosten für ihre Bewohner verbilligen. 16 von ihnen zahlen jährlich solche Subventionen im Umfang von 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung.
Die Herausforderungen
Eine grosse Herausforderung sehen die Initianten in administrativen Hürden. Die Ärmsten sind in Entwicklungsländern nur schlecht administrativ erfasst. Um deren Berechtigung und ihren Bedarf festzustellen und Auszahlungen vornehmen zu können, sind deshalb ausgeklügelte Methoden gefragt, die wenig kosten und rasch eingeführt werden können. Doch solche Methoden gibt es, und einige werden im Bericht erwähnt.
Die Bereitschaft der reichen Länder, zwischenzeitlich auf Schuldenrückzahlungen zu verzichten, könnte durch die eigene hohe Belastung angesichts der Viruskrise eingeschränkt sein. Weiter gibt es eine ganze Reihe Anreizprobleme: Bei einem Schuldenmoratorium besteht die Gefahr, dass einflussreiche Gruppen sich das eingesparte Geld selbst unter den Nagel reissen. Die scharfen Grenzen, ab denen kein Zustupf mehr bezahlt wird, laden überdies zum Missbrauch ein. Wer knapp mehr verdient, hat möglicherweise einen Anreiz, sein Einkommen tiefer auszuweisen oder weniger zu leisten, damit sie oder er den Zustupf erhält. Bei der UNO ist man überzeugt, dass sich die Herausforderungen meistern lassen.
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