Schweizer Innovationen 2024Schön sind sie nicht, aber sie können die Welt verändern
Ein veganes Steak, gesprayte Schuhe, ein Futtermittelzusatz und eine intelligente Kamera: Diese Schweizer Erfindungen haben das Potenzial, ganze Branchen zu transformieren.

- Der «Sockenschuh» von On kann die Schuhproduktion revolutionieren.
- Planted bietet ein pflanzliches Steak, das viele Kundinnen und Kunden bezüglich Geschmack und Konsistenz überzeugt.
- Die intelligente Tischkamera von Logitech macht hybride Meetings produktiver.
- Der Futtermittelzusatz Bovaer von DSM Firmenich reduziert den Methanausstoss bei Kühen.
Die Schweiz ist seit je bekannt für ihre Ingenieurskunst, für Uhren und Schokolade. Auch heute noch werden von keinem anderen Land mehr Patente pro Einwohner angemeldet.
Die Dauerweltmeisterin im Innovationsranking der UNO wird auch im 21. Jahrhundert mit Erfindungen international für Aufmerksamkeit sorgen. Denn im auslaufenden Jahr haben diverse Schweizer Firmen mit Innovationen von sich reden gemacht.
Die SonntagsZeitung hat vier Produkte ausgewählt, die das Potenzial haben, ganze Branchen positiv zu verändern – nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit:
Sockenschuh von On: Revolution in der Schuhherstellung

Mit dem sogenannten «Lightspray» hat die Schweizer Sportschuhmarke On im Frühsommer eine innovative Methode der Schuhproduktion vorgestellt. Sollte sie sich weltweit durchsetzen, könnte sie die Textilbranche fundamental verändern. Ons neuer Schuh, der eigentlich eher einer Socke ähnelt, ist nicht genäht, sondern gesprayt. In wenigen Minuten sprayt ein Roboter einen kompletten Überzug.
Der Schuh selbst, die Technologie dahinter sowie die dafür nötigen Roboter wurden in der Schweiz entwickelt. Das Obermaterial des Schuhs wird dort, wo sich der Roboter befindet, direkt auf die Sohle gesprayt. Sie wird vorgängig in Vietnam produziert.
Das Lightspray-Verfahren verkürzt die Herstellungszeit enorm. Statt mit 100 Arbeitsschritten pro Schuh, in denen bei der herkömmlichen Herstellung bis zu 40 Teile zusammengefügt werden, braucht es mit dem neuen Verfahren nur sieben Einzelteile. Insgesamt dauert die Herstellung noch sechs Minuten.
Bislang wurden einige Hundert dieser «Sockenschuhe» hergestellt. Getragen werden sie vor allem von Athletinnen und Athleten. Noch schafft es On nicht, sie in grösseren Massen zu produzieren. Knackpunkt ist die Skalierung der Technologie. Sie ist teuer und braucht Zeit.
Doch gelingt dies dereinst, könnten die Auswirkungen weitreichend sein. Wenn die Produktion dort erfolgt, wo der Schuh verkauft wird, würde dies für Schuh- und Textilherstellerländer wie China, Indien und Vietnam einschneidende Konsequenzen haben. Die Branche bietet einerseits Arbeitsplätze für Millionen Menschen und spielt eine wichtige Rolle bei der Armutsminderung. Andererseits sind oftmals die Sicherheitsstandards sowie die Löhne tief, und es gibt Umweltschutzbedenken.
Planted: Pflanzliches Steak mit Biss und Geschmack

Ein Steak aus Pflanzen, das aussieht wie Fleisch und auch bezüglich Konsistenz überzeugt: Das ist der Schweizer Firma Planted gelungen. Die Textur und der Geschmack eines klassischen Steaks werden aus natürlichen Zutaten wie Erbsenprotein, Rapsöl und Pflanzenfasern verblüffend ähnlich nachgebildet.
Das im März lancierte Planted-Steak verkauft sich gut. Doch die Nachfrage war in den letzten Monaten so hoch, dass es die Kundschaft zwischenzeitlich in den Läden vergebens suchte, und auch jetzt – in der Zeit um Silvester – könnte Planted laut einer Sprecherin «viel mehr verkaufen, als sie momentan produzieren kann».
Darum hat die Firma mit Sitz in Kemptthal ZH dieses Jahr mit dem Bau einer zusätzlichen Fabrik in Deutschland begonnen. Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres will Planted dort das Steak-Ersatzprodukt produzieren.
Fleischalternativen erlebten vor einigen Jahren einen Hype. Beyond Meat, der US-Pionier in der Herstellung von pflanzlichen Burgern, erreichte nach einem spektakulären Börsengang im Jahr 2019 bald einen Wert von über zehn Milliarden Dollar. Inzwischen ist die Marktkapitalisierung auf noch 238 Millionen Dollar zusammengeschrumpft. Auch in der Schweiz wächst der Markt mit Fleischalternativen nicht mehr so schnell. Trotzdem sieht Planted viel Potenzial, vor allem in europäischen Ländern.
Will die Welt ihre Klimaziele erreichen, müssen die Menschen den Fleischkonsum deutlich einschränken. Produkte, wie das von Planted, können auf dem Weg zu «netto null» zumindest einen Beitrag leisten.
Bovaer: Ein Pülverchen gegen die Methanemissionen

Mit Blick auf den Trend zu mehr Nachhaltigkeit wurde ein weiteres Produkt entwickelt, das in den vergangenen Monaten viel von sich reden gemacht hat: der Futtermittelzusatz Bovaer, der die Methanemissionen von Rindern um 30 Prozent reduzieren kann. Er sorgte im Dezember in England für kontroverse Debatten. Wegen eines Testlaufes mit «klimaschonender Milch» wurde dort zum Boykott von Milchprodukten und Detailhändlern aufgerufen.
Bovaer ist auch in der Schweiz zugelassen. Dass es erst von wenigen Betrieben verwendet wird, erstaunt. Denn der Futtermittelzusatz wurde hier entwickelt, nämlich in Kaiseraugst AG von der schweizerisch-niederländischen Firma DSM Firmenich. Bovaer wurde über 15 Jahre lang weltweit geprüft. Inzwischen ist es in 59 Ländern erhältlich, seit diesem Jahr auch in Japan und in Kanada.
Doch das Mittel hat zumindest zwei Haken: Die Methan-senkende Wirkung hält nur, solange die Kuh den Zusatz frisst, danach lässt sie schnell nach. Das heisst, die Kühe dürfen nicht zu lange auf der Weide bleiben, sonst wirkt Bovaer nicht. Der genaue Effekt dürfte tiefer liegen als die Reduktion von 30 Prozent, denn auch die Herstellung des Methanhemmers verursacht Emissionen.
Ausserdem ist das Bovaer teuer. Es kostet den Bauern 1 bis 1,5 Rappen mehr pro Kilogramm Milch. Sie setzen es nur ein, wenn die Mehrkosten von den Abnehmern entsprechend vergütet werden.
Doch Milchproduzenten weltweit haben sich Ziele zur Senkung ihrer Emissionen gesetzt – auch in der Schweiz. Bovaer zeigt einen Weg auf, wie die Landwirtschaft ohne Kompensation im Ausland ihren Fussabdruck verkleinern kann.
Sight: Die intelligente Tischkamera von Logitech

Nach zwischenzeitlichen Durststrecken, in denen Logitech schon fast abgeschrieben wurde, machte die Computer-Maus-Firma mit Sitz in Lausanne jetzt mit Logitech Sight von sich reden. Das amerikanische «Time-Magazin» listet die Tischkamera unter den 200 wichtigsten Erfindungen des Jahres.
Besonderes daran: Sie kann erkennen, wann jemand in die Runde spricht, sie fokussiert auf zwei Personen, wenn diese zusammen interagieren, und zoomt weg, wenn jemand etwas macht, was für die Besprechung nicht von Bedeutung ist – etwa in eine Chips-Tüte greift oder die Nase schnäuzt.
Die KI-gestützte Funktion wurde massgeblich von den Schweizer Teams für Design sowie Hardware- und Softwareentwicklung entwickelt.
Logitech Sight gehört zu den Erfindungen des Jahres, weil dadurch hybride Meetings keine Notlösung mehr sind – sie können mindestens gleich effizient sein wie herkömmliche Besprechungen. Das kann zu Produktionssteigerungen führen, denn Firmen können geeignete Fachpersonen auch dann anstellen, wenn sie Tausende Kilometer von den Büroräumlichkeiten entfernt wohnen.
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