Klimafreundliche MilchEin neues Mittel lässt Kühe weniger rülpsen. Wollen die Konsumenten diese Milch?
In Grossbritannien wurde erstmals im grossen Stil klimaschonende Milch verkauft. Das sorgt für Ärger. In der Schweiz sind die Hoffnungen auf den Futterzusatz hingegen gross.
- Der Futterzusatz Bovaer reduziert die Treibhausgase bei Kühen um etwa 30 Prozent.
- In England trauen aber viele Konsumentinnen und Konsumenten dem Futtermittel nicht.
- In der Schweiz ist Bovaer zugelassen, doch es wird erst von wenigen Betrieben verwendet.
- Der Bauernverband glaubt, dass es einen Run auf die klimafreundliche Milch geben könnte, würde sie im grossen Stil vermarktet.
- Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisiert den Einsatz von Bovaer. Die Leute sollten stattdessen weniger Tierprodukte essen, um das Klima zu schonen.
In England sorgt Milch gerade für hitzige Diskussionen. Fast täglich berichten die Boulevardblätter darüber, und in den sozialen Medien laufen zahlreiche Engländerinnen und Engländer Sturm gegen einen Testlauf mit klimaschonender Milch. Sie rufen daher zum Boykott von Milchprodukten und Detailhändlern auf. Es geht um einen Futterzusatz für Milchkühe, der gerade getestet wird. Er würde die Milch «kontaminieren» und könne angeblich «Krebs verursachen», so die Sorge in gewissen Kommentaren.
Nun ist die Sache sogar bei der Krone angekommen. Mit Patrick Holden hat sich einer der Berater von König Charles’ Biohöfen in der Presse geäussert. Er sagte gegenüber dem «Daily Telegraph», dass die Milchindustrie gerade versuche, die Kuh neu zu erfinden.
Der Anlass für diesen Ärger ist ein Testlauf des dänisch-schwedischen Milchriesen Arla. Diesem gehört die grösste Molkereigenossenschaft Grossbritanniens. In 30 Betrieben wird derzeit der Futterzusatz Bovaer dem Tierfutter beigegeben. In Filialen der grossen Detailhändler Morrisons, Aldi und Tesco werden die Arla-Milchprodukte verkauft. Darunter sind auf der Insel beliebte Marken wie Cravendale-Milch oder Lurpak-Butter.
Futterzusatz Bovaer soll Methanproduktion um 30 Prozent reduzieren
Bei Bovaer handelt es sich um einen Futterzusatz, der die Entstehung von Methan bei der Verdauung von Milchkühen, Schafen oder Ziegen um durchschnittlich rund 30 Prozent reduziert. Es braucht dafür ein Gramm des Zusatzes pro 20 Kilo Futter. Methan ist ein wichtiges Treibhausgas, das entscheidend zum Klimawandel beiträgt. Rund die Hälfte der Treibhausgase aus der Landwirtschaft stammt aus der Nutztierhaltung. Würden die Kühe weniger Treibhausgase ausstossen, stände die Branche gleich viel besser da.
Hergestellt wird der Zusatz von der Firma DSM Firmenich. Sie hat ihren Sitz in Kaiseraugst AG und in den Niederlanden. Die Firma schreibt zu ihrem Produkt: «Der Futtermittelzusatzstoff Bovaer trägt zu einer Verringerung des ökologischen Fussabdrucks von Milch- und Rindfleischprodukten bei.» Bovaer sei in 59 Ländern im Handel erhältlich, in über 100 landwirtschaftlichen Versuchen getestet worden, und es gebe Dutzende Studien dazu.
In der Schweiz laufen erste Tests mit Bovaer
In der Schweiz ist Bovaer als Futtermittelzusatz ebenfalls bewilligt. Wobei es Biobetriebe nicht verwenden dürfen. Es fehlen bislang belastbare Daten über die langfristigen Auswirkungen seines Einsatzes. Daher spreche der Verband der Schweizer Milchproduzenten (SMP) derzeit keine offizielle Empfehlung für die Nutzung dieses Futtermittelzusatzes aus, so Kommunikationsleiterin Christa Brügger.
Mehrere Landwirtschaftsbetriebe setzen das Produkt derzeit in Testläufen ein. «Es gibt neben dem Projekt Klimaneutrale Landwirtschaft Graubünden auch das Programm Klimastar-Milch der Aaremilch, bei dem Bovaer als methanhemmender Futterzusatz als eine von verschiedenen Massnahmen zum Einsatz kommt», sagt Sandra Helfenstein, Sprecherin des Bauernverbands.
Andreas Stämpfli ist bei Aaremilch, der Milchhandelsorganisation im Einzugsgebiet der Aare, für das Programm verantwortlich. Er weiss von zwei von insgesamt 230 angeschlossenen Betrieben, die Bovaer zumindest temporär eingesetzt haben. In der Schweiz entstehe heute entsprechend relativ wenig Bovaer-Milch. «Die Mengen sind sehr gering», sagt Stämpfli. Dies, weil die Kosten des Einsatzes relativ hoch seien und den Milchbetrieben keinen direkten Nutzen bringen würden. Sprich: Sie bezahlen mehr fürs Futter, haben unmittelbar aber nichts davon. «Nur wenn der Betrieb über ein Klimaschutzprogramm entsprechend entschädigt wird, rechnet sich der Einsatz», sagt er.
Bovaer-Milch ist teurer
Würde ein Hof ausschliesslich Bovaer-Milch produzieren, würde das die Milch verteuern. Stämpfli sagt: «Je nach Betrieb belaufen sich die reinen Mehrkosten gemäss unseren Berechnungen auf ein bis zwei Rappen pro Kilogramm Milch.» Dabei geht es um die Kosten auf dem Betrieb, noch nicht die im Handel. Die Mehrkosten für die Konsumentinnen und Konsumenten könnten also noch höher ausfallen.
Kritischer wird der Einsatz von Bovaer von der Umweltschutzorganisation Greenpeace gesehen. Sie verweist auf einen Bericht von Agroscope, dem Forschungszentrum für Landwirtschaft des Bundes. Darin heisst es, dass die Effizienz des Tieres wegen methanreduzierender Futterzusätze* sinken könne. Das bedeutet, dass wegen der geringeren Leistung des Tieres pro Liter Milch oder Kilo Fleisch insgesamt nicht weniger Klimagase freigesetzt werden. Auch gebe es noch keine Langzeitstudien zum Tierwohl. «Um die Klima- und Umweltauswirkungen unserer Ernährung zu verkleinern, brauchen wir eine Konsumänderung», sagt Barbara Wegmann von Greenpeace Schweiz.
Futtermittelzusätze sind laut Wegmann ein Ansatz, das Problem der Klimaemissionen technologisch zu lösen. Das reiche aber nicht aus. «Wir werden die Klimaemissionen aus der Tierhaltung nur mit verändertem Futtermittel nicht genügend senken können», so Wegmann. Greenpeace geht davon aus, dass auch in der Schweiz die Detailhändler Bovaer-Milch speziell anpreisen würden. «Wir rechnen damit, dass Detailhändler solche Produkte ins Zentrum ihrer Klimabemühungen stellen und sie entsprechend vermarkten», sagt Wegmann. Das gehe aber in die falsche Richtung, stattdessen müssten sie weniger Tierprodukte verkaufen und beispielsweise Werbung für «klimaschädliche Produkte wie Fleisch und Tierprodukte» einstellen.
Gäbe es hier einen «Run» auf klimafreundliche Milch?
Der Schweizer Bauernverband sähe hingegen Vorteile, wenn der Handel die Milch speziell auszeichnen würde. «Wir würden einen Run auf diese Milch erwarten, weil die Bevölkerung dann diese besonders klimafreundlich produzierte Milch bewusst bevorzugen könnte», sagt Sandra Helfenstein vom Bauernverband. Und: «Es wäre schade, wenn wegen einiger englischer ‹Verschwörungstheoretiker› das Engagement für weniger Emissionen zum Erliegen käme.» Auch Stämpfli hofft darauf, dass die Schweizer Milchbranche weiterkommt.
Diese hat sich ein hohes Ziel gesetzt. Sie will ihre Treibhausemissionen bis in fünf Jahren um 10 Prozent und bis in zehn Jahren um 20 Prozent senken.
*Ursprünglich hiess es im Artikel, dass die Leistung wegen Bovaer sinken könne. Im Artikel von Agroscope ist jedoch nicht das spezifische Produkt gemeint, sondern generell methanreduzierende Futterzusätze.
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