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Ermittler für den Europarat
Diese drei Schweizer Nationalräte sind mitten im Ukraine-Krieg

Der Neuenburger Nationalrat Damien Cottier (Mitte) hat mit einer Parlamentarierdelegation in Kiew, Butscha und Irpin Beweise für russische Kriegsverbrechen gesammelt. 
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Raketenalarm, zerbombte Häuser, zerstörte Existenzen: Den Kriegsalltag in der Ukraine haben die Nationalräte Damien Cottier (FDP) und Pierre-Alain Fridez (SP) hautnah erlebt. Mit Alfred Heer (SVP) dürfte demnächst ein dritter Parlamentarier das Land besuchen. Er wolle Ende Sommer nach Kiew reisen, sagt Heer. 

Das Trio sitzt für die Schweiz im Europarat. Cottier soll dort über mögliche Kriegsverbrechen rapportieren. Pierre-Alain Fridez hat seinen Bericht über die Situation von Kriegsflüchtlingen bereits abgeliefert. Alfred Heer wiederum soll über die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat in der Ukraine zu berichten.

Das erzählen sie über ihre Arbeiten:

Cottier und die Kriegsopfer

Cottier war Ende Juni in der Ukraine, mit einer Delegation von zehn Parlamentariern aus zehn Ländern. Für nur gerade 16 Stunden habe er sich in Kiew aufhalten können, sagt der Neuenburger. Wegen ständiger Raketenalarme raten Sicherheitsexperten ab, in der Hauptstadt zu übernachten.  

Ein Augenzeuge erklärt Damien Cottier (rechts) und seiner Delegation, was er während der russischen Angriffe in und um Kiew erlebt hat.

In Kiew, Butscha und Irpin sprach er unter anderen mit einem Pfarrer einer orthodoxen Kirche, in der mehr als 100 Kriegsopfer beerdigt worden waren. Der Pfarrer beschrieb detailliert, was er dabei gesehen hatte. Dessen Schilderungen bestätigten Cottier, was er zuvor in Zeugenaussagen von anderen internationalen Organisationen, NGOs und Journalisten gelesen hatte.

«In der Ukraine wurden Kriegsverbrechen und darüber hinaus wohl mutmasslich auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt.»

Damien Cottier, FDP-Nationalrat

Für die Europaratsdelegation ist die Faktenlage heute klar. «In der Ukraine wurden Kriegsverbrechen und darüber hinaus wohl mutmasslich auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt», sagt Cottier. Butscha sei ein Schauplatz für Dutzende, kaltblütige Morde an Zivilpersonen gewesen. Die Zerstörung von Irpin, wo unzählige zivile Gebäude und Privathäuser attackiert worden sind, habe wiederum die Brutalität des russischen Angriffs vor Augen geführt, so Cottier.  

Darüber wird er nun dem Europarat Bericht erstatten, während unzählige Untersuchungen in der Ukraine weiterlaufen. Die parlamentarische Versammlung mit Abgeordneten aus ganz Europa setzt sich dafür ein, dass sich die Weltgemeinschaft auf die Einrichtung eines sogenannten internationalen Ad-hoc-Gerichts einigen. Cottier sagt: «Das Ad-hoc-Gericht braucht es, weil der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zwar die schlimmsten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen kann, nicht aber den Angriffskrieg per se, weil ihm dafür ein Mandat des UN-Sicherheitsrats fehlt. Dieser klare Verstoss gegen das Völkerrecht muss aber auch untersucht werden.» 

Fridez und die Flüchtlinge

Wie hart der Krieg die Zivilbevölkerung trifft, hat Pierre-Alain Fridez untersucht. Der Arzt aus dem Kanton Jura und Vater von vier Kindern besuchte Städte, in denen Tausende Kriegsflüchtlinge versorgt werden, in der Slowakei, in Rumänien und in der Ukraine selbst. Seinen Bericht hat der Europarat im Juni bereits beraten und angenommen. Darin warnt Fridez, die Situation für Flüchtlinge sei in einzelnen Ländern wie Moldau sehr prekär. Die ganze Versorgung sei behelfsmässig organisiert und könne «rasch zu einem humanitären Desaster werden».

«In den ersten Tagen nach Kriegsausbruch sind unbegleitete Kinder und Frauen einfach im Nirgendwo verschwunden.»

Pierre-Alain Fridez, SP-Nationalrat

Jedenfalls drohten grosse Probleme bei der Grundversorgung, insbesondere mit Nahrungsmitteln. Auch zivile Unterbringungen seien nicht für den langfristigen Gebrauch gedacht. Zudem bestehe die Gefahr von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitution. «In den ersten Tagen nach Kriegsausbruch sind unbegleitete Kinder und Frauen einfach im Nirgendwo verschwunden», schreibt Fridez. Die Slowakei registriere Flüchtlinge mittlerweile und speichere die Koordinaten jener Leute, die Flüchtlinge an Grenzen ihre Hilfe anböten, lobt der Jurassier. 

Der jurassische Arzt und SP-Nationalrat Pierre-Alain Fridez schenkt ukrainischen Kinder Bonbons.

Auch in der Ukraine selber sei die Lage der Flüchtlinge schwierig. In Städten für 120’000 Leute lebten heute eine halbe Million Menschen, sagt Fridez. In- und ausserhalb der Ukraine laufe die humanitäre Hilfe am Maximum. Die Situation werde sich verschärfen, denn eine Rückkehr in ihre Heimat sei für viele ukrainische Flüchtlinge wegen der Zerstörungen nicht möglich.

«Die Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge ist behelfsmässig organisiert», sagt Pierre-Alain Fridez, nachdem er Flüchtlingsunterkünfte und Zentren für die Nahrungsmittelausgabe besucht hat.

Fridez hat im Europarat unter anderem eingebracht, Plattformen für Hilfsgesuche und -angebote zu schaffen. Er hat nämlich beobachtet, dass gerade dort die humanitäre Hilfe am besten funktioniert, wo es schon vor Kriegsausbruch Freundschaften zwischen Städten und Regionen in Osteuropa mit solchen im restlichen Europa gab.

Heer und die Präsidialmacht

Einen eigenen, besonderen Blick auf die Ukraine hat der Zürcher Nationalrat Alfred Heer. Im Europarat gehört er dem sogenannten Monitoring-Komitee an, das in Ländern und Regionen den Umgang mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte beobachtet. Heer und ein isländischer Parlamentarier sind für die Ukraine zuständig. Sie pflegen regelmässigen Austausch mit Vertretern der Regierung, der Opposition, Richtern, Juristen und NGOs und sind vor Kriegsausbruch auch nach Kiew gereist. Ende Sommer will Heer nun erneut in die Ukraine reisen. 

Der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer beobachtet im Auftrag des Europarats den Rechtsstaat und die Demokratie in der Ukraine. Ende Sommer will er ein weiteres Mal nach Kiew reisen. 

«In ihrer Demokratisierung hat die Ukraine in den letzten Jahren Fortschritte gemacht», attestiert Heer dem Land. Zurzeit falle ihm aber auf, dass Präsident Wolodimir Selenski das Kriegsrecht dazu brauche, die Demokratie auch dort stark zu beschneiden, wo es aus seiner Sicht keine Notwendigkeit gebe.

So will Alfred Heer einen Dialog darüber führen, warum die Ukraine nur noch Ukrainisch als Amtssprache erlaubt und Sprachen von Minderheiten wie Russisch und Ungarisch eingeschränkt und diskriminiert hat und warum einzelne Fernsehsender über Kabel nicht mehr zu empfangen sind. 

«Der russische Angriff auf die Ukraine ist nicht zu rechtfertigen, aber jetzt zeigt das Land nationalistische Tendenzen.»

Alfred Heer, SVP-Nationalrat

Er sagt: «Der russische Angriff auf die Ukraine ist nicht zu rechtfertigen, aber jetzt zeigt das Land nationalistische Tendenzen und leidet unter einem Realitätsverlust.» Auch der Umgang der ukrainischen Regierung mit den Oligarchen missfällt dem Nationalrat. Zwar habe Präsident Selenski 2021 ein Anti-Oligarchen-Gesetz erlassen, aber faktisch bestimme heute Selenski selbst, wer ein Oligarch sei und wer nicht, so der Zürcher. Die gefällten Entscheide seien juristisch nicht anfechtbar und öffneten der Korruption Tür und Tor.

Der Krieg heiligt nicht alle Mittel, ist die Botschaft von Alfred Heer. Diese hat er für seine baldige Reise nach Kiew schon mal in sein Gepäck gelegt.