Hohe Nachfrage nach Uhren und FachkräftenDie Uhrenindustrie und ihr Luxusproblem
Die Branche zeigt sich widerstandsfähig und boomt trotz vieler Krisen. Nun stellt sich die Uhrenindustrie auf anhaltendes Wachstum ein – doch ihr fehlen qualifizierte Arbeitskräfte.
Weder die ausklingende Pandemie noch der Krieg in der Ukraine mit seinen weltwirtschaftlichen Verwerfungen können der Schweizer Uhrenindustrie etwas anhaben. Die am Dienstag veröffentlichten Zahlen zu den Ausfuhren zum abgelaufenen Jahr 2022 zeigen, wie krisenresistent der drittgrösste Exportzweig des Landes ist.
Die Branche exportierte Uhren im Wert von knapp 25 Milliarden Franken, das ist ein Rekord. Gerade in unsicheren Zeiten sind sichere Werte wie Luxusuhren gefragt – fehlende Touristen aus China, steigende Preise und Lieferengpässe hin oder her.
Der Rekord kam zustande, obwohl mit China und Hongkong zwei der wichtigsten Absatzmärkte am Boden liegen. Die wertmässigen Ausfuhren von Zeitmessern in diese Nationen gingen im vergangenen Jahr wegen der strengen Corona-Massnahmen im Reich der Mitte deutlich zurück. Alle anderen bedeutenden Exportländer, allen voran die USA, treiben hingegen den Boom an.
Ein Grund: Während der beiden Corona-Jahre haben die Konsumentinnen und Konsumenten den Gürtel enger geschnallt. Jetzt gönnen sie sich mit dem Geld, das sie gespart haben, etwas Schönes und Teures.
Es könnte sogar noch besser kommen: Nick Hayek, Chef des weltweit grössten Uhrenkonzerns Swatch Group mit Sitz in Biel, rechnet noch in diesem Jahr mit steigenden Verkäufen in China und Hongkong. Er stützt seine Aussagen auf höhere Absatzzahlen für den Januar 2023, verglichen mit dem Vorjahresmonat, nachdem das kommunistische Regime Anfang Jahr die strikten Covid-Regeln gelockert hat.
Die hohe Nachfrage nach Marken wie Swatch, Omega und Harry Winston könnte zu einem Umsatzrekord bei der Swatch Group beitragen, sagte Hayek gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. «Das ist realistisch und erreichbar», so der 68-Jährige. Auch Breitling-Chef Georges Kern geht davon aus, dass die chinesische Kundschaft schnell wieder Luxusuhren kaufen wird.
Chinesisches Neujahrsfest als Gradmesser
Die Uhrenpatrons schauen deshalb gebannt auf das chinesische Neujahrsfest, das die Chinesinnen und Chinesen noch bis zum Vorabend des 5. Februar begehen. Es gilt als Gradmesser dafür, wie sich die Geschäfte in China entwickeln werden.
Offen ist nämlich, ob die Bevölkerung nach monatelangen Lockdowns wieder auf Reisen geht und diese Gelegenheit nutzt, um in Läden Luxusgüter zu kaufen. Unklar ist ebenfalls, ob eine erhöhte Reisetätigkeit erneut zu Infektionsquellen führt und die Regierung deswegen wieder Schliessungen von Geschäften veranlasst.
Die Frage ist nur, wie gut die Uhrenindustrie auf zusätzliches Wachstum aus Asien vorbereitet ist. So herrscht in der Branche akuter Fachkräftemangel, bis zum Jahr 2026 fehlen rund 4000 qualifizierte Berufsleute aus dem technischen Bereich. «Wir werden in der Lage sein, die Nachfrage entsprechend der Marktentwicklung zu befriedigen», sagt Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie. «Unsere Unternehmen haben weiterhin in neue Infrastrukturen und Räumlichkeiten investiert.»
Pasche spielt damit etwa auf die Pläne von Rolex an. Die Luxusuhrenmarke aus Genf will im freiburgischen Bulle ein neues Werk mit zusätzlichen 2000 Arbeitsplätzen bauen. Angepeilter Eröffnungstermin ist jedoch erst das Jahr 2029. Die Investitionen belaufen sich auf rund 1 Milliarde Franken.
Neuer Höchststand bei Beschäftigten
Wie sehr die Uhrenindustrie Fachkräfte braucht, zeigt die Personalentwicklung im abgelaufenen Jahr. Die Hersteller haben zusammen 3332 zusätzliche Stellen geschaffen. Bei Rolex waren es 207 neue Arbeitsplätze, wie die jährliche Jobmacher-Umfrage der «SonntagsZeitung» zeigt.
Die Zahl der Beschäftigten erreichte somit per Ende 2022 ähnliche Werte wie in den letzten Boomjahren vor Ausbruch der Quarzkrise vor 50 Jahren. Zurzeit arbeiten knapp 61’000 Personen in der Uhrenindustrie. Dieses Niveau erreichte die Branche zuletzt Mitte der 70er-Jahre.
Der Arbeitgeberverband der Uhrenindustrie erwartet deshalb, dass der Personalbestand im laufenden Jahr weiterhin wächst, aber auf einem tieferen Niveau als 2022. Die Branche sei «schon immer einfallsreich» gewesen, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, heisst es beim Verband. Beispielsweise suche die Uhrenindustrie in Berufen, die vergleichbare Fähigkeiten erforderten, nach geeigneten Beschäftigten.
Oder der Blick richtet sich ins benachbarte Ausland. Im Jurabogen ist jeder dritte Angestellte ein Grenzgänger, wobei Frankreich das häufigste Herkunftsland ist. Dabei lockt die Branche mit attraktiven Löhnen.
Ungelernte Arbeitskräfte zwischen Genf und Basel können mit einem Mindestlohn ab 3700 Franken monatlich rechnen, wenn sich ihr Arbeitgeber an den Gesamtarbeitsvertrag hält. In Frankreich sind es umgerechnet 1713 Franken.
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