Kohäsionsmilliarde verdoppeln?«Die Schweiz würde sich damit in Brüssel blamieren»
Der Nationalrat lehnt eine Aufstockung der Zahlung an die EU mit neun Stimmen Unterschied ab. Welche Politiker wie stimmten – und wer die prominenten Abweichler sind.
Es wäre ein riesiger Kuhhandel: Die Schweiz soll die sogenannte Kohäsionsmilliarde an die EU-Oststaaten per sofort verdoppeln; im Gegenzug soll die EU die Schweiz bis spätestens Mitte 2022 wieder als vollwertig assoziiertes Mitglied im Forschungsprogramm Horizon aufnehmen.
Diesen politisch spektakulären Vorschlag hat die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats vor gut einer Woche überraschend lanciert (lesen Sie hier mehr darüber). Bereits am Mittwoch musste nun der Nationalrat im Rahmen seiner Budgetdebatte darüber abstimmen.
Worum geht es genau?
Die Forscherinnen und Forscher leiden bislang am stärksten unter der bilateralen Eiszeit mit der EU: Weil der Bundesrat die Verhandlungen um das Rahmenabkommen im Mai 2021 abgebrochen hat, verweigert Brüssel den Schweizer Universitäten und Forschungsinstitutionen jetzt die Teilnahme am neuen EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe (lesen Sie hier mehr darüber). Mit ihrem Vorschlag wollte die APK diese Blockade nun durchbrechen.
Von wem stammt die Idee?
Vater des Vorschlags ist der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, der Präsident der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs). Vor einer Woche überzeugte Nussbaumer 15 der 25 Mitglieder der APK von seiner Idee. In der Kommission stimmten SP, Grüne und GLP, aber auch einzelne Mitte- und FDP-Vertreter dafür.
Welche Argumente brachten die Befürworter vor?
«Wenn der Bundesrat nicht handelt, muss es das Parlament tun», sagte Roland Fischer (GLP, LU) am Mittwochmorgen im Nationalrat. Er warf dem Bundesrat vor, mit dem Abbruch der Verhandlungen ein «Debakel» produziert zu haben und seither keinen Plan für das weitere Vorgehen zu haben. Mit dem Vorschlag der APK könne man das Problem für die Forschung lösen, so Fischer. «Die Schweiz muss sich bewegen, um die Blockade mit der EU zu beenden», sagte auch Christine Badertscher (Grüne, BE).
Mit der Erhöhung der Kohäsionszahlungen leiste die Schweiz auch «einen Beitrag zur europäischen Zusammengehörigkeit», sagte Martina Munz (SP, SH). Bisher sei die Schweiz «sehr knausrig» gewesen. Die Teilnahme an Horizon sei nicht nur für die Forschung wichtig, sondern auch, um die hochwertigen Schweizer Arbeitsplätze zu erhalten.
Bundesrat Ueli Maurer opponierte mit deutlichen Worten: «Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, haben Sie auch keine Strategie.»
Welche Argumente brachten die Gegner vor?
Der Vorschlag der APK sei «ein Hüftschuss aus Panik, er ist unseriös und schwächt die Verhandlungsposition des Bundesrats», sagte Lars Guggisberg (SVP, BE). Die Schweiz müsse in den nächsten Jahren 35 Milliarden Franken Corona-Schulden abbauen. Und nun wolle man gleichzeitig in einer «Hauruckaktion» eine zusätzliche Milliarde nach Osteuropa überweisen? «Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen», sagte Guggisberg.
Heinz Siegenthaler (Mitte, BE) bezweifelte, dass sich auf die Schnelle in den neuen EU-Staaten überhaupt genügend Projekte finden liessen, um eine zweite Milliarde auszuzahlen. «Das Problem mit der EU ist nicht das Geld, sondern der Abbruch der Verhandlungen» – und daran seien neben dem Bundesrat auch mehrere Parteien im Parlament schuld, so Siegenthaler. Auch die Finanzkommission beantragte mit 14:11 Stimmen die Ablehnung des APK-Antrags. Die Mehrheit der Finanzkommission argumentierte, dass der Vorschlag für künftige Verhandlungen sogar kontraproduktiv sein könnte.
Was sagte Bundesrat Ueli Maurer?
Der für das EU-Dossier eigentlich zuständige Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) ist in der Budgetdebatte ususgemäss nicht im Saal. Dafür war Finanzminister Ueli Maurer (SVP) da, der just an diesem Tag seinen 71. Geburtstag feierte. Maurer opponierte mit deutlichen Worten: «Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, haben Sie auch keine Strategie», sagte er.
Die Beziehungen zur EU seien «etwas komplizierter», als dieser Antrag insinuiere. Er fürchte, so Maurer, «dass sich die Schweiz damit in Brüssel eher blamieren würde». Aber, so mahnte SVP-Mann Maurer: Das Verhältnis zur EU sei tatsächlich «das grösste aussenpolitische Problem, das die Schweiz zu lösen hat».
Wer stimmte wie?
Der Nationalrat lehnte die vorgeschlagene Verdoppelung der Kohäsionsmilliarde schliesslich mit 93 gegen 84 Stimmen ab. 6 Mitglieder enthielten sich.
Hier sehen Sie, wie die einzelnen Nationalratsmitglieder stimmten.
Mit Nein stimmte die ganze SVP sowie das Gros der FDP- und der Mitte-Fraktion. Mit Ja stimmte geschlossen die SP sowie fast geschlossen die Grünen und die GLP; bei beiden Parteien gab es je eine Enthaltung.
Aus der FDP stimmte nur Christa Markwalder (BE) mit Ja – zwei Freisinnige enthielten sich. In der Mitte-Fraktion stimmten Elisabeth Schneider-Schneiter (BL), Christine Bulliard und Marie-France Roth Pasquier (beide FR) sowie Vincent Maitre (GE) für den Vorschlag, zwei Mitte-Vertreter enthielten sich.
War es das?
Voraussichtlich ja. Mit dem Entscheid des Nationalrats dürfte der Vorschlag für einen Kuhhandel zumindest vorerst gescheitert sein. Aus dem Ständerat, der das Budget schon am Montag behandelte, gab es gar keinen entsprechenden Antrag. Damit wird eine rechtzeitige Beteiligung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm Horizon immer unwahrscheinlicher.
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