EU-Kommissions-Vize im Interview«Ich möchte schnelle Ergebnisse. In einem Jahr können wir viel erreichen»
Die Streitfragen des Rahmenabkommens seien ungelöst, sagt Maros Sefcovic. Jetzt setzt er auf einen Fahrplan mit konreten Fristen für das Jahr 2022.
Herr Vizepräsident, Sie wollen von der Schweiz bis zum Weltwirtschaftsforum in Davos in zwei Monaten eine Agenda und eine Roadmap für den politischen Dialog, den Bundesrat Cassis mit Ihnen anstrebt. Ist das ein neues Ultimatum?
Wir arbeiten nicht mit Ultimaten, vor allem nicht mit so friedliebenden Ländern wie der Schweiz. Ich schätze wirklich die Initiative von Aussenminister Ignazio Cassis. Wir hatten ein sehr gutes Gespräch. Ich habe ihm gesagt, dass die bilaterale Beziehung Besseres verdient als diesen Mangel an Perspektive. Aber nach dem abrupten Abbruch beim Rahmenabkommen ist alles suspendiert ...
Was erwarten Sie konkret bis Januar?
Wir brauchen einen neuen Impuls, einen Schnellstart. Wir werden in intensivem Kontakt mit unseren Schweizer Partnern sein. Das Ergebnis sollte sein, dass wir in Davos eine Roadmap dafür haben, wie wir die Schlüsselfragen in unserer Beziehung lösen können. Ich sehe diesbezüglich vier Prioritäten, die alle mit dem Binnenmarkt verknüpft sind: eine dynamische Rechtsübernahme, Staatsbeihilfen, Streitschlichtung und ein Mechanismus für regelmässige Kohäsionsbeitrage.
Also die alten Streitfragen, an denen das Rahmenabkommen gescheitert ist ...
Sie haben sich nun mal nicht in Luft aufgelöst. Wenn wir eine Perspektive wollen, müssen wir diese wichtigen Streitfragen lösen.
Aussenminister Cassis will die Agenda mit Ihnen zusammen ausarbeiten, Sie fordern, dass die Schweiz hier liefern muss. Was stimmt?
Wir haben einander durchaus verstanden. Wir brauchen ein klares politisches Signal, dass die Schweiz es ernst meint. Sie müssen verstehen, dass wir nach sieben Jahren Verhandlungen, 25 Treffen auf Präsidentenebene und einem abrupten Abbruch ein Vertrauensproblem haben. Bevor wir neue Diskussionen starten, wollen wir die Zusicherung von der Schweizer Seite, dass man mit uns eng an Lösungen arbeiten will. Wir wollen spüren, dass es ein richtiges Interesse gibt.
«Wir wollen keine abstrakte Diskussion, die sich nur im Kreis dreht.»
Und wenn nicht, drohen neue Nadelstiche?
Wir reden hier nicht von Diskriminierung. Aber ohne Upgrade für unsere Beziehung wird diese schrittweise erodieren. Wir können heute schon in vielen Bereichen nicht zusammenarbeiten, die in unserem gegenseitigen Interesse wären. Wir wollen keine abstrakte Diskussion, die sich nur im Kreis dreht. Ich bin bereit, noch einmal die politische Energie für einen Durchbruch aufzubringen. Ich hoffe, dass auch die Schweiz dazu bereit ist.
Aber was heisst das konkret?
Die Schweiz kennt die Probleme sehr gut, etwa bei den Staatsbeihilfen. Europäische Firmen fragen uns, warum wir mit ihnen streng sind, aber nicht mit der Schweizer Konkurrenz. Wenn Sie im Binnenmarkt sind, müssen Sie sich an die gemeinsamen Regeln halten. Der Binnenmarkt ist für die Schweiz sehr vorteilhaft. Ich kann hier noch einmal unsere Argumente wiederholen. Aber wir wollen nicht noch einmal sieben Jahre Verhandlungen, die dann in Bitternis enden. Ich möchte schnelle Ergebnisse. In einem Jahr können wir viel erreichen.
Die EU hat doch einiges dazu beigetragen, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Wo wäre sie denn bereit zum Kompromiss?
Ja, da haben wir eindeutig unterschiedliche Wahrnehmungen. Das hat auch Ihr Aussenminister gesagt. Es stimmt aber auch, dass Präsidentin Ursula von der Leyen und ihre Mitarbeiterinnen sehr intensiv nach Lösungen und Kompromissen gesucht haben. Es ist kein Geheimnis, dass wir überrascht waren, als die Schweiz die Verhandlungen abgebrochen hat. Wir wollen nicht noch einmal überrascht werden.
Sie erwarten ernsthaft, dass die Schweiz noch einmal über den alten Entwurf des Rahmenabkommens redet?
Ich will jetzt nicht die Etappen überspringen. Zuerst möchten wir das Signal, dass die Schweiz sich an den Tisch setzen will und bereit ist, an den Themen zu arbeiten, die nicht verschwinden werden. Wenn die Schweiz am Binnenmarkt teilhaben will, müssen wir eine Lösung finden. Ich fände es gut, wenn wir uns konkrete Fristen setzen könnten. Also ein Fahrplan, um uns im nächsten Jahr einer Lösung anzunähern.
Ein Streitpunkt ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Geht es beim neuen Anlauf ohne die Richter in Luxemburg?
Der Europäische Gerichtshof ist unverzichtbar, wenn es um den Binnenmarkt geht. Das EU-Recht setzt die Regeln für den Binnenmarkt, und die Richter in Luxemburg sind hier in letzter Instanz Schiedsrichter. Aber es gibt verschiedene Ideen, wie wir hier zu diesem Ziel kommen könnten.
Wäre es nicht einfacher, diese abstrakten Fragen von Fall zu Fall zu lösen, etwa in einem Stromabkommen, wie es die Schweiz anstrebt?
Strom ist ein gutes Beispiel, wie unsere Beziehung sich in den letzten Jahren ohne dynamische Rechtsübernahme verschlechtert hat. Die Schweiz importiert immer mehr Strom aus der EU. Ohne Rahmenabkommen kann die Schweiz an verschiedenen Handelsplattformen im Strombinnenmarkt der EU nicht teilnehmen. Wir können die institutionellen Fragen nicht von Fall zu Fall lösen. Da wären wir rasch verloren und würden viele rechtliche Probleme schaffen.
Brüssel erscheint aus Schweizer Perspektive sehr dogmatisch ...
Das sind wir natürlich nicht. Wir haben immer demonstriert, dass wir gute Partner sind und endlos Geduld haben. Sieben Jahre lang haben wir verhandelt, und die Aufmerksamkeit für die Schweiz ist von der technischen Ebene bis hin zur Präsidentin sehr gross. Alle haben nach Kompromissen gesucht. Ich habe noch in meiner damaligen Rolle als Botschafter der Slowakei in Brüssel damals für mein Land die Bilateralen II unterzeichnet. Das war auch schon eine massgeschneiderte Lösung. Seither hat sich aber der Binnenmarkt dramatisch weiterentwickelt. Wir brauchen rechtliche Klarheit und Vorhersehbarkeit auch für unsere Firmen, und das haben wir heute nicht.
Da ist es doch kontraproduktiv, wenn die EU Schweizer Medizintechnikfirmen benachteiligt oder der Börse die Äquivalenz verweigert ...
Das sind die natürlichen Konsequenzen davon, dass unsere Rechtsgrundlage überholt ist. Wir haben grosse technologische Entwicklungen gerade im Medizinbereich. Da geht es auch um öffentliche Gesundheit. Wir haben keine Garantien, dass alle Firmen im Binnenmarkt neue Regeln respektieren. Deshalb müssen Schweizer Firmen ihre Medizinprodukte jetzt im EU-Raum zertifizieren.
Das Schweizer Parlament hat die zweite Kohäsionsmilliarde freigegeben. Könnten wir da nicht etwas mehr Dankbarkeit erwarten?
Natürlich schätzen wir das und danken dem Schweizer Parlament für diesen Entscheid. Aber gleichzeitig muss ich daran erinnern, dass wir die letzte Zahlung von der Schweiz 2012 bekommen haben. Das ist eine Weile her. Die Schweiz profitiert als eines der wohlhabendsten Länder der Welt enorm vom Binnenmarkt. Deshalb bin ich froh, dass die Schweiz endlich ihre Schuld beglichen hat.
Die Schweiz hat aber keine rechtliche Verpflichtung, diesen Beitrag zu leisten ...
Obwohl ich keine Parallele zu Norwegen ziehen möchte, muss ich sagen, dass der Schweizer Beitrag sehr willkommen, aber deutlich niedriger ist als jener der EWR/Efta-Staaten. Wir würden diese Diskussion gern entdramatisieren, und das könnten wir am besten mit einem Mechanismus für regelmässige Beiträge tun. Ganz nach unserem Verständnis, dass dies ein Beitrag für die Beteiligung am Binnenmarkt ist.
Das Parlament in Bern hat die Kohäsionsmilliarde freigegeben, und trotzdem blockieren Sie die volle Assoziierung beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe. Das versteht in der Schweiz kaum jemand ...
Ich möchte betonen, dass Schweizer Forschende sich für Projekte bewerben können. Nur die Finanzierung über EU-Steuergelder fällt für die Schweiz derzeit weg. Die Tür für eine volle Assoziierung ist nicht zu. Wir brauchen aber ein Dachabkommen für alle Programme, an denen sich die Schweiz beteiligen möchte. Zudem brauchen wir auch hier das Signal, dass die Schweiz zu einer Aktualisierung unserer bilateralen Beziehung bereit ist.
Die Türkei darf voll dabei sein, die Schweiz nicht, das ist schwer nachvollziehbar. Weshalb diese Diskriminierung?
Das ist keine Diskriminierung. Wie gesagt dürfen Schweizer Forschende mitmachen, aber die Schweizer Regierung muss für ihre Beteiligung selber zahlen. Die Schweiz hat in der Vergangenheit mehr aus dem Fördertopf herausholen können, als sie einbezahlt hat. Das zeigt auch, wie wichtig für die Schweiz die Forschungszusammenarbeit und der Binnenmarkt sind. Aber in dieser engen Beziehung können Sie sich nicht irgendwelche Bereiche herauspicken. Wir müssen alle Aspekte unseres Verhältnisses in Betracht ziehen.
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