Eine Parlamentsdebatte eskaliertDie Nazi-Keule trifft ihn im Innersten
Eine Linkspolitikerin beschuldigt den Lausanner Stadtrat Pierre-Antoine Hildbrand (FDP), Bettler mit Nazi-Methoden zu drangsalieren. Hildbrand spricht von einer «schweren Beleidigung».
Sein Schicksal erträgt er in der Regel mit einiger Gelassenheit. Pierre-Antoine Hildbrand ist der einzige Bürgerliche in der siebenköpfigen Lausanner Stadtregierung. Das Risiko, als politischer Eunuch zu enden, besteht bei ihm permanent. Das zwingt den Freisinnigen, seine Kolleginnen und Kollegen von SP und Grünen von seinen Ideen zu überzeugen. Das ist dem Juristen jüngst wieder gelungen, und erst noch in einem hochexplosiven Dossier: Der Bettelei. Kritik kam diesmal aus einem anderen Lager: Die äusserste Linke schimpfte Hildbrand einen Nazi – und da endet seine Gelassenheit.
Die Bettelei ist in Lausanne ein hoch emotionales Thema. Im Stadtzentrum sind seit Jahren Dutzende Roma mit rumänischer Staatsbürgerschaft unterwegs. Die meisten von ihnen sitzen in den Gassen und bitten Passanten um Geld. Die Stadtregierung verbot die Bettelei zeitweilig. Doch im letzten Jahr entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Betteln sei ein Menschenrecht. Verbote sind somit illegal.
Nun sind die Bettler wieder in Lausanne und das Thema ist zurück auf der politischen Agenda. Die Stadtregierung will die Bettelei auch langfristig wieder zulassen, aber nur noch an von ihr definierten Orten. Ginge es nach dem Willen der Stadtregierung, soll künftig gebüsst werden, wer auf dem Wochenmarkt, in Bahnhofsnähe, in Geschäften, Theatern, Kinos, Museen, Pärken und auf Spielplätzen und Friedhöfen bettelt.
Als Sicherheitsdirektor präsentierte Pierre-Antoine Hildbrand die Pläne jüngst im Stadtparlament. Man sollte sich «durch Arbeit emanzipieren und nicht durch das Betteln», argumentierte der 46-Jährige.
Die äusserste Linke reagierte empört. «Das erinnert mich an eine sehr, sehr dunkle Epoche der deutschen Geschichte, Hashtag Arbeit macht frei», warf die Parlamentarierin Franziska Meinherz der Linkspartei Ensemble à Gauche dem Freisinnigen an den Kopf.
Auf Nazi- folgte Pinochet-Vergleich
Es gehe nicht um «den Bettler als Menschen, sondern um die Bettelei an sich», verteidigte Hildbrand sein Anliegen. Doch die Parlamentarierin war nicht mehr zu beruhigen. Auch Diktator Pinochet habe die Bettelei verboten, fuhr sie fort.
«Die Äusserungen schockieren mich. Sie sind untragbar.»
Pierre-Antoine Hildbrand, verheiratet und zweifacher Familienvater, ist ein reflektierter Mensch. In Diskussionen streut der Jurist immer wieder Wissen ein, das aus der Rechtsphilosophie und -soziologie stammt. Die Nazi- und Diktaturvergleiche habe er nicht verdaut, signalisiert er auf Anfrage. «Die Äusserungen schockieren mich. Sie sind untragbar, insbesondere in einer politischen Debatte und im Saal des Stadtparlaments», sagt er. Der deplatzierte Vergleich mit der Shoah und dem Genozid an Europas Juden sei eine Banalisierung von Kriegsverbrechen.
«Die Parlamentarierin hat mich schwer beleidigt und wirft ein unwürdiges Licht auf die politische Debatte», so Hildbrand. Dass es gerade ihn treffe, der sich auch in seiner Rolle als Polizeidirektor gegen Rassismus, Extremismus und Antisemitismus einsetze, treffe ihn umso mehr.
Sich mit einer Strafanzeige zur Wehr setzen will Hildbrand dennoch nicht. Eine Anzeige zöge wohl den Vorwurf nach sich, dass er «seinen» Justizapparat für persönliche Zwecke einsetze. Rückendeckung bekommt Hildbrand von Stadtpräsident Grégoire Junod (SP), der von einer «Entgleisung» spricht. Der Zeitung «24 Heures» sagte Junod: «Man kann bei einem Thema wie der Bettelei uneins sein, das ist nicht neu, aber so bringt man seine Uneinigkeit in einer demokratischen Debatte nicht zum Ausdruck. Man kann nicht alles und jedes sagen.» Das hat die Stadtregierung der Parlamentarierin jetzt in einem Brief mitgeteilt.
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