Arm in der SchweizPolitische Lösungen gegen Armut liegen auf dem Tisch
Mehr Engagement in der Armutsprävention: Das fordert die Hilfsorganisation Caritas vom Staat. Die Politik arbeitet an diversen Massnahmen.
722’000 Personen sind in der Schweiz von Armut betroffen. 133’000 davon sind Kinder. Das hat das Bundesamt für Statistik für das Jahr 2020 berechnet. Das entspricht 8,5 Prozent der Bevölkerung. Als arm gilt, wem monatlich weniger als 2279 Franken (Einzelperson) oder 3963 Franken (vierköpfige Familie) zur Verfügung stehen.
Die Hilfsorganisation Caritas hat diese Woche anhand einer Studie über den Kanton Bern aufgezeigt, dass viele Menschen nur knapp über der Armutsgrenze leben und rasch in die Armut abrutschen können. Parallel stellt die Organisation auch politische Forderungen.
Ergänzungsleistungen gefordert
«Vor allem die Kantone müssen die Armutsentwicklung auf der Grundlage der Steuerdaten besser beobachten und die Armutsprävention verbessern», sagt Aline Masé, Leiterin der Caritas-Fachstelle Sozialpolitik. Konkret sollen die Kantone vor allem Familien mit Ergänzungsleistungen unterstützen, um sie von Wohnungsmieten und Krankenkassenprämien zu entlasten. Aline Masé verweist hierbei auf die Kantone Waadt, Genf, Tessin und Solothurn, die mit Ergänzungsleistungen Familien aus der Armut halfen oder sie vor ihr schützten.
Caritas stellt in ihrer Arbeit ebenso fest, dass werktätige Eltern häufig in höheren Pensen arbeiten wollen, um mehr zu verdienen, wegen zu teurer Kinderbetreuungsangebote aber daran gehindert werden. Anderen Eltern wiederum fehlt der Zugang zu Bildung und Weiterbildung, um auf diesem Weg das monatliche Einkommen zu verbessern.
Die Politik arbeitet an verschiedenen Massnahmen. Die Freiburger SP-Nationalrätin Valérie Piller Carrard will mit einer parlamentarischen Initiative dafür sorgen, dass Familien in der gesamten Schweiz mehr Ergänzungsleistungen zukommen. Die Nationalratskommission stimmte der Initiative zu, die ständerätliche lehnte sie ab. Das Schicksal der Initiative liegt jetzt beim Ständerat.
«Dank Mindestlöhnen verdienen in Genf Working Poor substanziell mehr und sind so aus der Sozialhilfe gekommen.»
Im Juni kommt hingegen die Prämienentlastungsinitiative der SP in den Nationalrat. Sie verlangt, dass in der Schweiz kein Haushalt mehr als 10 Prozent seines Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben muss. Obschon die Initiative dem Bundesrat zu weit geht, will er die Kantone mit einem indirekten Gegenvorschlag zu höheren Prämienverbilligungen verpflichten. Das Volk dürfte 2023 über die Initiative abstimmen, im Falle eines Gegenvorschlags aber wohl erst 2024. Darüber hinaus sammelt die SP derzeit Unterschriften für ihre Kita-Initiative. Diese verlangt, dass Eltern künftig höchstens 10 Prozent ihres Einkommens für Kita-Plätze ausgeben müssen.
Alessandro Pelizzari ist Direktor der Waadtländer Fachhochschule für soziale Arbeit und war als früherer Unia-Gewerkschafter massgeblich an der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Genf beteiligt. Er empfiehlt eine solche Massnahme auch für andere Kantone. Pelizzari sagt: «Dank Mindestlöhnen verdienen in Genf Working Poor substanziell mehr und sind so aus der Sozialhilfe gekommen. Armutsbekämpfung ist dann am effektivsten, wenn sie die Armutsursachen in den Blick nimmt.»
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