Obwohl sie daheimbleiben dürftenDie meisten entlassenen Swiss-Flight-Attendants arbeiten freiwillig weiter
Aus Sicherheitsgründen zwingt die Airline während der Kündigungsfrist niemanden zum Fliegen. Die meisten erscheinen trotzdem weiter zur Arbeit. Die Swiss spart dadurch viel Geld.
Als die Geschäftsleitung der Fluggesellschaft Swiss Mitte Juni ihrer Belegschaft per Videokonferenz die Details der Massenentlassung mitteilte, flossen die Tränen. Total 550 Personen verlieren die Stelle, 334 davon sind Flugbegleiterinnen und -begleiter. Was viele Betroffene stört: Die Swiss lagert trotz der Entlassungen nach wie vor Flüge an Helvetic Airways aus, die ihr Personal schlechter entlohnt.
Die Swiss könnte von den Entlassenen verlangen, dass sie bis zum Ende ihrer dreimonatigen Kündigungsfrist weiterarbeiten. Sie zahlt bis dahin schliesslich ihr Gehalt. Doch pocht sie nicht darauf. Denn wer über seine Entlassung frustriert ist, könnte ein Risiko für die Sicherheit an Bord darstellen. Dass die Person das Unternehmen gegenüber der Kundschaft wohl nicht mehr gut vertreten würde, dürfte ein weiterer Grund sein.
«In den letzten Monaten, als kaum jemand reiste, stand ich selten im Einsatz. Darum will ich in den paar Wochen, die mir bleiben, das Fliegen und alles, was dazugehört, so gut es geht, geniessen.»
«Sollte sich ein Cabin Crew Member nach der Kündigung aufgrund der persönlichen Verfassung nicht in der Lage fühlen, weitere Flugeinsätze wahrzunehmen, so wird dies respektiert», bestätigt Swiss-Sprecher Michael Stief. Den vollen Lohn würde die entlassene Person trotzdem erhalten.
Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass laut Stief die Mehrzahl der Flugbegleiterinnen weiterhin zur Arbeit erscheint. Wie viele es genau sind, will er nicht sagen. Bedingung dafür, dass man weiterfliegen dürfe, sei ein ausführliches Gespräch mit dem Vorgesetzten. Bei diesem verschaffe sich dieser ein Bild über die persönliche Verfassung und die aktuellen Lebensumstände der entlassenen Person.
Es trifft die Jüngsten
Diese Zeitung hatte geschrieben, dass die Swiss wegen Personalmangels am Wochenende Flugbegleiter bitte, an freien Tagen zu arbeiten, und teilweise gar den Service an Bord kürzen müsse. Die Swiss hatte vehement verneint, dass dieses Problem mit der Massenentlassung in Verbindung stehe. Der Umstand, dass die meisten Entlassenen weiterarbeiten, stützt ihre Beteuerung.
Für die Swiss beziehungsweise die Aktionäre des Mutterkonzerns Lufthansa ist das Verhalten der Geschassten wohl Millionen von Franken wert: Gekündigte Personen sind nämlich gesetzlich nicht kurzarbeitsfähig. Während der Kündigungsfrist muss also die Swiss ihnen den Lohn bezahlen. Da ist es besser, wenn sie arbeiten und stattdessen die Ungekündigten in der Kurzarbeit sind.
Die Massenentlassung traf bei den Flugbegleitern die Dienstjüngsten: «Last in, first out», heisst dieses oft angewandte Prinzip. Personen, die seit Jahren dabei sind und seitdem ein ganzes Leben, vielleicht gar das einer Familie um den Job herum aufgebaut haben, blieben verschont. Zudem vereinbarten die Sozialpartner, dass eine Härtefallklausel neu Eingestellten über 50 Jahre eine Entlassung ersparen solle. Sie kam nur ganz vereinzelt zur Anwendung.
Stattdessen entlässt die Swiss die Jüngsten. Eine der Betroffenen ist Flugbegleiterin Kyra T. (Name geändert), die darum bittet, ihren echten Namen nicht zu nennen. «Die Nachricht der Entlassung hat mich sehr traurig gemacht», erzählt die 20-Jährige. Sie hatte ihren Job erst kurz vor der Pandemie angetreten.
Jetzt will sie so lange und so viel weiterarbeiten, wie es geht. In den letzten Monaten, als kaum jemand reiste, stand sie selten im Einsatz. «Darum will ich in den paar Wochen, die mir bleiben, das Fliegen und alles, was dazugehört, so gut es geht, geniessen», sagt Kyra T. Im September beginnt sie ein Studium.
Kündigungen sind rechtsgültig
Bei Kolleginnen, die ebenfalls die Kündigung erhalten hätten, beobachtet T. dagegen, dass diese auf eine Weiterbeschäftigung in der Branche schielten. Auf eine baldige Rückkehr zur Swiss haben sie zwar keine Chance. «Die Kündigungen wurden ausgesprochen und sind somit rechtsgültig», schreibt Sprecher Stief.
Doch plant die Swiss-Ferienschwester Edelweiss, ab September 40 bis 60 Flugbegleiterinnen einzustellen. Die Entlassenen bei der Swiss wurden per Mail bereits über den Bewerbungsprozess informiert. Swiss und Edelweiss schreiben, dass es keinen Einfluss auf die Einstellungschancen habe, ob man während der Kündigungsfrist weiterarbeite.
Für den Arbeitseifer der Geschassten scheint neben den genannten Erklärungen eine weitere plausibel. «Als ich meine Ausbildung zur Flugbegleiterin 2019 begann, war immer von einem Swiss-Spirit die Rede», blickt Kyra T. zurück. «Heute weiss ich, dass der Teamgeist bei der Swiss tatsächlich riesig ist.»
Eine Identifikation mit der Firma, so stark, dass die Manager einen entlassen können und man ohne materiellen Vorteil weiterarbeitet? Tatsächlich zeigen zahlreiche Gespräche dieser Zeitung mit aktuellen und ehemaligen Swiss-Angestellten, dass die Swiss für viele kein normaler Arbeitgeber ist. Während der Pandemie, die die Swiss in eine schwere Krise gestürzt hat, scheint dieser Zusammenhalt sogar nochmals zugenommen zu haben.
Erbe der Swissair
Für Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers, ist diese Loyalität erstaunlich: «Der Einstiegslohn beträgt 3400 Franken, der Stress ist viel höher als früher und das Ansehen des Berufs deutlich tiefer. Und trotzdem lieben diese jungen Menschen die Swiss.» Nikolic-Fuss macht als einen Grund dafür aus, dass sich mit der Klimadiskussion der letzten Jahre eine Wagenburg-Mentalität – wir gegen alle – herausgebildet habe.
Hinzu komme das Erbe der Swissair. Da habe sich sogar die temporär angestellte Putzfrau den Zusatz «Swissair-Angestellte» ins Telefonbuch eintragen lassen, so stolz seien sie damals gewesen. Nikolic-Fuss hatte 2000 als Flugbegleiterin begonnen. «Das Grounding im Jahr darauf schweisste uns noch mehr zusammen und prägte die Stimmung in der neu gegründeten Swiss stark.»
Für Kyra T. sind das Geschichten aus alten Zeiten. «Für meine Identifikation war entscheidend, mit einem Team irgendwo auf der Welt unterwegs zu sein. So entsteht Vertrauen. Zudem gibt es keinen anderen Beruf, in dem ich die Welt, andere Kulturen, Menschen und mich selbst so intensiv kennen lernen könnte. Da ist mir der tiefe Lohn weniger wichtig.»
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