Kolumne «Dorfgeflüster»
Die Kirche mit der Gütertrennung
Die reformierte Kirche Meilen weist eigentümliche Besitzverhältnisse auf – zum Vorteil der Bevölkerung.
Kirche und Staat sind in der Schweiz strikt getrennt. Das ist gut so, denn Kirche und Politik unterscheiden sich durch Glauben hier und Meinung dort. In Meilen gibt es aber eine Überschneidung von Glaubens- und weltlicher Gemeinschaft: im Kirchturm. Glocken und Läutwerk gehören den Reformierten. Doch die grösste der vier Glocken spricht auch die Bürger an. Auf dem Kranz der 1877 gegossenen und über zwei Tonnen schweren Glocke steht: «Christentum und Bürgertreu will ich täglich wecken neu».
Ganz bürgerlich geht es einen Stock tiefer im Kirchturm zu. Die Uhr gehört nämlich zu 100 Prozent der Politischen Gemeinde, wie Gemeindepräsident Christoph Hiller kürzlich an einer Gemeindeversammlung erwähnte. Ortshistoriker Peter Kummer weiss, seit wann das so ist. 1894 beschloss die Versammlung der Politischen Gemeinde einstimmig den Ersatz der defekten Uhr. 1956 sprach der Gemeinderat die Anschaffung eines neuen elektroautomatischen Uhrwerks, 2018 auch deren Sanierung gut.
Es herrscht demnach Gütertrennung im Meilemer Kirchturm. Zwar gibt die Kirche bei der Uhrzeit den Ton an. Aber ohne das Uhrwerk der Politischen Gemeinde wüssten die Glocken nicht, wann sie zu schlagen haben. Umgekehrt bliebe die Uhrzeit im Dorf ohne Glocken ungehört.
Moral: Miteinander geht es immer besser. In Meilen veranschaulicht dies die eigentümliche Besitzteilung im Kirchturm auf eindrückliche Art. Dass die Kirche auch regelmässig Schauplatz der weltlichen Gemeindeversammlung ist und zu diesem politischen Anlass auch noch alle Glocken läuten lässt, unterstreicht diese Symbiose. Obschon dann das Gotteshaus für einen Abend zweckentfremdet ist. Denn dann ist sie – dem Urgedanken der Demokratie verpflichtet – ein Ort der verschiedenen Meinungen und nicht eines einzigen Glaubens.
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