TV-Kritik «Tatort»Die Frauen schiessen, die Männer lieber nicht
Der neue Stuttgarter «Tatort» mags komödiantisch – und man spürt, dass das gesamte Team seine Freude daran hatte.

«Wie bisch du nu geworde, was du bisch?», fragt Rechtsmediziner Daniel Vogt den abgetrennten Kopf eines jungen Mannes, der da vor ihm auf der Bahre liegt. Vom Rest des Körpers fehlt jede Spur. Dass der erste Satz im neuen Stuttgarter «Tatort» von Jürgen Hartmann gesprochen wird, ist stimmig: Der schwäbelnde Mediziner bekommt in dieser Episode – der letzten vor der Sommerpause – einen viel grösseren Part als sonst meist. Überhaupt präsentiert sich «Die Nacht der Kommissare», der 30. Fall des Ermittlerduos Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare), als eine etwas andere Folge.
Es scheint, als hätten sich Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseurin Shirel Peleg an den Münsteranern orientiert: nicht nur wegen Vogts Rolle, sondern vor allem, weil hier Karikatur, Klamauk und Krimi lustvoll ineinandergemixt werden, wie es bei den Stuttgartern sonst nicht üblich ist. In der ersten Minute sehen wir Lannert irgendwo im Dunkel, vor ihm eine Blutlache; aber als Bootz ihn endlich im Club Der wilde Mann aufspürt, ist er (unfreiwillig) komplett zugedröhnt, hat Schuhe, Gedächtnis und Hemmungen verloren und macht den Kollegen Bootz und Vogt zwischendurch gern eine Liebeserklärung.
Die Kamera (Andreas Schäfauer) hat sichtlich Spass daran, uns Lannerts Halluzinationen auf die Augenlinse zu beamen: Wasserblasen wabern, Tigerköpfe flottieren, derweil asiatisch anmutende Glöckchen pling-plingen. Doch, es ist gelungen, wie der Film bissige Pointen, groteske Gags und drogeninduzierte Träume zu einer Mordermittlung verflicht, die exakt eine Nacht lang dauert – vom Herunterfahren des Bürocomputers in der Rechtsmedizin bis zum Sonnenaufgang am Flughafen.

Erst als Lannert in den vergehenden Stunden allmählich zu sich kommt, schleicht sich bei uns ein gewisser Überdruss am experimentellen Set-up ein. Hier also der Clubbesitzer, der von einem grossen Hund oder Ähnlichem zerfleischt wurde. Da seine Vertrauten, Jessy und Jan, die offenbar einen Drogencoup planen, dann aber bloss Schnellkochtöpfe und Backsteine geliefert bekommen. Und was genau hat die schwäbische Schweinezüchterfamilie Bechtle – bei der die resolute Mutter das Zepter schwingt – mit dem Ganzen zu tun?
Die dominanten, schiessgeübten Frauen des Films, Jessy und Beate Bechtle, verkörpern eine Persiflage auf die allgegenwärtige Geschlechterdiskussion; auch Frauen dürfen als Negativgestalten obenaus schwingen. Aber eine knallharte Bösewichtfigur gibts ohnehin nicht, im Grunde versuchen frustrierte Normalbürger, sich in einer Gesellschaft ohne Chancen gegenseitig auszutricksen: «Der eine verarscht den anderen», weiss Beate. Selbst der tote Boss war am Ende bloss ein Blödelcharakter.
So kuddelmuddelt sich die Geschichte mit nachlassender Stringenz der mittelprächtigen Auflösung entgegen. «Das machen wir jetzt aber nicht jedes Mal so, ne?», resümiert Kommissar Bootz. Lannert kontert: «Ich fands eigentlich ganz lustig.» Das war es durchaus – mit Einschränkungen.
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