Kommentar zur EnergiewendeDie Diskussion über ein neues AKW ist eine Scheindebatte
Die Frage danach, ob ein neues AKW gebaut werden soll, behindert Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren. Warum das gefährlich ist.
Ein neues AKW soll es also richten. Geht es nach den SVP-Grössen Albert Rösti und Magdalena Martullo-Blocher, soll so die Energiezukunft der Schweiz geregelt werden. Doch Diskussion über Sinn und Unsinn von neuen AKW vernebelt den Blick auf das wesentliche Problem: Die Schweiz muss bei den Erneuerbaren endlich drei oder besser vier Gänge höher schalten.
Warum kommt das Thema überhaupt auf? Dazu muss man zwei Dinge wissen. Seit Jahren wird von einer Winterstromlücke gewarnt, weil es mit dem Ausbau der Erneuerbaren nicht vorwärtsgeht, die AKW dereinst ausgeschaltet werden. Dazu kommt das fehlende Stromabkommen mit der EU, das Ängste schürt vor Blackouts und Versorgungslücken.
Woran die EU übrigens kein Interesse haben kann, weil dies das eigene, fragile Netz instabiler macht. Die Lösung im Bau eines neuen AKW zu suchen, ist aber zu wenig durchdacht. Denn ein neues Kernkraftwerk zu bauen, ist unrealistisch. Selbst wenn das Volk seinen klaren Entscheid von 2017 dereinst rückgängig machen sollte und den Neubau von AKW wieder ermöglicht, bleiben noch ganz andere Fragen.
Gegen ein konkretes AKW-Projekt würde es nur so hageln vor lauter Einsprachen.
Wer bezahlt ein neues AKW? Die grossen Stromkonzerne sehen davon momentan ab, konkrete Projekte gibt es nicht. Zudem ist es fraglich, ob ein neues AKW wirtschaftlich betrieben werden kann. Wären die Anlagen denn realistischerweise rechtzeitig fertig gebaut? Wohl kaum. Und da sind wir beim grössten Problem.
Wenn es schon bei einer Windkraftanlage bis zu 15 Jahre dauert, bis ein Projekt wegen Einsprachen durchgeführt werden kann: Gegen ein konkretes AKW-Projekt würde es nur so hageln vor lauter Einsprachen.
Szenen wie beim Bau des AKW Gösgen in den 1970er-Jahren, als die Polizei gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten aufgeboten werden musste, sind programmiert. Denn selbst wenn eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sich für Atomstrom aussprechen würde: Vor dem eigenen Haus will man die Anlage kaum.
Die Frage nach einem neuen AKW ist also eine fruchtlose Diskussion mit absehbarem Ausgang: Es werden keine neuen Kernkraftwerke gebaut. Doch die Diskussion darüber überlagert das grössere Problem dahinter. Und das ist gefährlich. Verliert sich die Schweiz in Scheindebatten über unrealistische Lösungen der Energiezukunft, verliert sie den Fokus auf die eigentliche Problematik.
Denn das Thema, das angegangen werden muss, ist der verstärkte Ausbau der Erneuerbaren. Dabei steht zuerst einmal die Fotovoltaik im Fokus. Absolute Argumente wie «Aber mit Fotovoltaik kann man im Winter nichts anfangen, weil die Sonne kaum scheint» sind zwar bedenkenswert.
Sinnvoller wäre es, darüber nachzudenken, was denn realistischerweise dieses Manko korrigieren kann. Und dabei geht es auch um Wasserkraft, um eine Nutzung von Wasserstoff zur Speicherung von Energie, um Massnahmen zur Reduktion des Energiebedarfs etwa im Gebäudepark. Kurz: um ein umfassendes Vorantreiben von realistischen Lösungen.
Was uns dabei im Weg steht, ist die Finanzierung: Unsere Stromkonzerne investieren derzeit lieber im Ausland. Das hat wenig mit fehlender Vaterlandsliebe zu tun. Sondern vor allem mit Opportunitäten. Im Ausland lassen sich offenbar gute Geschäfte mit Erneuerbaren machen, in der Schweiz nicht oder zumindest weniger. Also muss die Schweiz ein Umfeld schaffen, damit grosse Projekte hierzulande finanziert werden. Dass mit dem heutigen System genügend Anreize geschaffen werden, darf zumindest angezweifelt werden.
Und es geht um eine allgemeine Abwehrhaltung. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis zum Beispiel Windkraftprojekte umgesetzt werden können. Der Ausbau der Wasserkraft in den Bergen wird immer wieder durch erfolgreiche Einsprachen verschleppt. Hier müssen wir umdenken.
Einen Neubau eines Einfamilienhauses ohne Fotovoltaikanlage auf dem Dach oder an der Fassade sollte es nicht geben.
Zudem muss die Schweiz anfangen, endlich grösser zu denken. Parkplätze mit Fotovoltaikanlagen als Schattenspender müssen vorangetrieben werden. Hochalpinanlagen, die im Winter Strom liefern können, ebenfalls. Einen Neubau eines Einfamilienhauses ohne Fotovoltaikanlage auf dem Dach oder an der Fassade sollte es nicht geben. Ob das über ein schlaues Anreizsystem oder mit einer gesetzlichen Vorgabe erreicht wird, ist zweitrangig – es muss schlicht zur Normalität werden.
Da sind Naturschützerinnen gefragt, die Kompromisse eingehen. Gleiches gilt für Denkmalschützer, die Fotovoltaikanlagen verhindern, weil das Dorfbild nicht gestört werden soll. Oder für Heimatschützerinnen, die Windkraftanlagen kategorisch ablehnen, weil damit das Landschaftsbild verändert wird.
Denn wer hier bremst, spielt der Atomlobby in die Karten. Dann erscheint plötzlich die Atomkraft als Szenario – oder gar als einzige Lösung. Mit dem Ergebnis, dass man nicht mit voller Kraft auf alternative Lösungen setzt, sondern auf Kernkraft. Diese wird aber höchstwahrscheinlich nicht rechtzeitig einsatzbereit sein. Und so verstärkt sich das Problem noch.
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