Chef gesuchtDie CDU fragt ihre Mitglieder um Rat
Erstmals in ihrer Geschichte lassen die deutschen Christdemokraten ihre Basis den neuen Vorsitzenden küren. Der Konservative Friedrich Merz ist dort Favorit.
«Jetzt schlägt die Stunde der Mitglieder.» Armin Laschet und Paul Ziemiak, Noch-Vorsitzender und Noch-Generalsekretär der CDU, stellten am Dienstag die Beschlüsse der Parteispitze zur «Neuaufstellung» vor: Die 400’000 Mitglieder werden Anfang Dezember und – falls es zu einer Stichwahl kommt – erneut Anfang Januar über die Bewerber für den Vorsitz abstimmen. Ein Parteitag soll am 21./22. Januar das Ergebnis förmlich bestätigen. Neben dem Vorsitzenden werden dann auch das Präsidium und der Vorstand neu gewählt – diese allerdings von den 1001 Delegierten.
Mitglieder können brieflich oder digital abstimmen, die Kandidaten sich ab Mitte November digital vorstellen. Bewerbungen nimmt die CDU ab Samstag entgegen. Bis dahin besteht laut Laschet auch noch die Möglichkeit, dass sich die Konkurrenten auf eine Teamlösung einigen, sodass es nicht zu einer Kampfwahl kommen muss. Die Aussichten dafür sind freilich gering.
Entfremdung zwischen Spitze und Basis
Dem Entscheid war am Wochenende ein Treffen vorausgegangen, das bereits basisdemokratische Anmutung hatte: Die Vorsitzenden der 326 Kreisverbände hatten einmütig gewünscht, die Initiative bei der Chefwahl diesmal den Mitgliedern zu überlassen.
An der eher konservativen Basis der Partei gibt es seit langem das Gefühl, von der Spitze nicht gehört und bei wichtigen Entscheiden übergangen zu werden. Diese Empfindung war schon in der Ära von Kanzlerin Angela Merkel gewachsen. Als diese Ende 2018 als Parteichefin aufgab, verstärkte sie sich noch.
Friedrich Merz, der Liebling vieler Konservativer in der Partei, verlor den Kampf um den Vorsitz zweimal knapp gegen Vertreter der Mitte, erst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer, dann gegen Armin Laschet. Als sich im letzten Frühling viele Mitglieder CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten wünschten, setzte die CDU-Spitze Laschet dennoch durch. Am Ende stand die historische Wahlniederlage bei der Bundestagswahl.
Um die von vielen wahrgenommene Spaltung zwischen «Establishment» (Zitat Merz) und Basis zu heilen und das Vertrauen wiederherzustellen, schien eine Urwahl der Mitglieder zuletzt selbst Skeptikern gegenüber dieser Form von Mitbestimmung unausweichlich.
Ein Novum – und eine Zäsur
Für die Bundes-CDU ist die Befragung der Mitglieder ein Novum und eine Zäsur. Die bisherigen Erfahrungen fallen zwiespältig aus: Meist führten Urwahlen bei SPD und CDU nicht zu überzeugenden Lösungen, sondern zu mehr Spaltung, schwachen Vorsitzenden und Niederlagen bei Wahlen. Die CDU-Landesverbände in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die entsprechende Experimente in der jüngeren Vergangenheit durchlitten hatten, rieten von einer Wiederholung denn auch eher ab.
Als abschreckendes Beispiel gilt auch die letzte Mitgliederwahl der SPD. Am Ende von sechs quälenden Monaten wählten deren Mitglieder 2019 statt des Vizekanzlers Olaf Scholz einen Pensionierten und eine Hinterbänklerin zu ihren neuen Chefs. Ein halbes Jahr später war die SPD dennoch auf Scholz als Kanzlerkandidaten angewiesen – und nach Laschets Absturz dürfte dieser nun sogar Merkel als Kanzler nachfolgen.
Ob eine Befragung der Mitglieder die seit Jahren spürbare Spaltung zwischen Konservativen und Reformern heilen kann, daran zweifeln in der Partei viele. Das liegt auch daran, dass nach dem jähen Sturz des erst im Januar neu gewählten Laschet nun kein überzeugender Nachfolger bereitsteht (geschweige denn eine Frau).
Als Favoriten gelten mangels Alternativen die Unterlegenen der letzten Wahl: der bald 66-jährige Merz und der 56-jährige Norbert Röttgen. Während Merz inner- und ausserhalb der Partei polarisiert, versucht sich der ehemalige Umweltminister Röttgen als Vertreter der «modernen Mitte» zu inszenieren.
Eine Umfrage unter CDU-Anhängern ergab jüngst, dass Merz 36 Prozent der Befragten hinter sich weiss, Röttgen 25 Prozent. Der 41-jährige Spahn liegt mit 14 Prozent deutlich dahinter, aber noch vor den weiteren möglichen Kandidaten Carsten Linnemann (9 Prozent) und Ralph Brinkhaus (6 Prozent). Auch Merz’ Werte sind allerdings nicht wirklich gut – sie liegen deutlich unter jenen seiner ersten Bewerbungen.
Merz bemüht sich deswegen derzeit intensiv, die jungen Spahn und Linnemann in ein Team einzubinden, um das wirtschaftsliberal-konservative Lager zu einen und sich als Chef an die Spitze zu setzen. Angesichts seines Alters wäre Merz aber wohl in jedem Fall ein Vorsitzender des Übergangs – mit eher geringen Chancen auf eine allfällige Kanzlerkandidatur 2025. Diese Perspektive käme in der CDU dann eher Spahn oder Linnemann zu. Und natürlich dem dieses Jahr leer ausgegangenen Söder.
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