Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neue Regierung gesucht
Deutschland «würde durchdrehen»

Die vier vom Selfie: Die Chefs der deutschen Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck (links aussen), sowie FDP-Chef Christian Lindner (rechts aussen) und dessen Generalsekretär Volker Wissing am Montag auf dem Weg zu den Verhandlungen mit der SPD.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wie kommen die Gespräche zwischen SPD, Grünen und FDP voran?

Diese Woche wollen die möglichen Koalitionspartner am Montag, am Dienstag und am Freitag insgesamt 25 Stunden miteinander verhandeln. Die Gespräche befinden sich in der Phase der «vertieften Sondierung». Es geht also vor allem um die grossen Linien einer möglichen Zusammenarbeit und um die wichtigsten Differenzen, nicht um Details.

Was ist das Ziel?

Am Donnerstag wollen die drei Parteien die bisherigen Gespräche getrennt bewerten. Am Freitag werden sie sich zu einer ersten Schlussrunde treffen. Viele erwarten, dass danach bekannt wird, ob formelle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden oder nicht. Möglicherweise brauchen einzelne Parteien für diesen Entscheid auch noch etwas mehr Zeit.

Was unterscheidet «Sondierungen» von «Koalitionsverhandlungen»?

Bei Sondierungen sprechen Parteien mehr oder weniger unverbindlich miteinander, um festzustellen, ob eine Zusammenarbeit wünschenswert, sinnvoll und möglich ist. Nach der Bundestagswahl vor drei Wochen trafen sich die vier Mitteparteien des Parlaments, SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP, in verschiedenen Kombinationen zu sogenannten Vorsondierungen. SPD, Grüne und FDP entschieden am vergangenen Mittwoch, jetzt als Erstes die Chancen einer Ampel-Koalition vertieft zu sondieren. Koalitionsverhandlungen sind formelle Gespräche mit dem Ziel, einen Koalitionsvertrag für vier Regierungsjahre abzuschliessen. Die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen und deren Ergebnis müssen in vielen Parteien von deren Führungsgremien, einem Parteitag oder in besonders umstrittenen Fällen sogar von den Mitgliedern gutgeheissen werden.

Grosse Erwartungen: Zum Auftakt der Verhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP demonstrierten am Montag in Berlin Aktivistinnen für konsequenteren Klimaschutz.

Wie lange kann man sondieren, ohne zu verhandeln?

2017 sprachen CDU/CSU, FDP und Grüne vier Wochen lang über eine mögliche Zusammenarbeit, bevor FDP-Chef Christian Lindner die Unterredungen aufkündigte. Formell befand man sich damals noch im Status der Sondierungen, nicht in demjenigen von Verhandlungen. Auch wegen dieser Erfahrung haben sich die möglichen Partner diesmal vorgenommen, eher kurz zu sondieren – und danach dafür länger zu verhandeln.

Wer verhandelt eigentlich?

Die SPD um den wahrscheinlich nächsten Kanzler Olaf Scholz tritt mit einer sechsköpfigen Delegation an, Grüne und FDP seit dieser Woche ebenfalls. Stets sind die Parteichefs dabei, bei der SPD also Saskia Esken und Nobert Walter-Borjans, bei den Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck, dazu jeweils die Generalsekretäre.

Leitet die Gespräche: SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz. 

Wer leitet die Gespräche?

Die Wahlgewinnerin SPD sucht Partnerinnen, um zu regieren, der bisherige Vizekanzler Scholz will Kanzler werden: Er hat also den Lead. Am Mittwoch und am Donnerstag pausieren die Gespräche, weil der deutsche Finanzminister in Washington die Amtskollegen der wichtigsten Industrienationen der Welt (G-20) trifft. Der gelernte Anwalt Scholz gilt als herausragender Verhandler: beinhart und dennoch flexibel.

Was ist der inhaltliche Knackpunkt?

Es gibt in fast allen Bereichen grosse Differenzen, vor allem zwischen SPD/Grünen und der FDP. In der Finanzpolitik sind diese besonders schwer zu überwinden. Alle drei Parteien wollen mehr investieren, unter anderem in die ökologische Transformation. Die linken Parteien wollen dafür den Staat stark neu verschulden und Steuern für die Reichen erhöhen – beides schliesst die FDP aus. Über den Aufbau von staatlichen Investitionsgesellschaften und die stärkere Berücksichtigung von privatem statt staatlichem Kapital lassen sich die Widersprüche möglicherweise überbrücken.

Unter welchem Motto könnte eine Ampel-Regierung stehen?

Grüne und FDP streben eine «Fortschrittsallianz» an, die den deutschen Staat nach Jahren der Stagnation «rundum erneuert», insbesondere bei Klimaschutz, Bürokratie und Digitalisierung. Die Sozialdemokraten wollen garantieren, dass dabei die soziale Gerechtigkeit nicht ausser Acht gerät.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Warum braucht es eigentlich einen Koalitionsvertrag?

Früher einigten sich Regierungspartner in Deutschland nur in ein paar wichtigen Punkten über ihre Zusammenarbeit. In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Verträge jedoch immer länger und detaillierter geworden – derjenige der letzten Grossen Koalition umfasste 179 Seiten. Je grösser das Misstrauen zwischen den Partnern, umso länger der Vertrag. Die Stärke einer Koalition misst sich in der Praxis jedoch meist daran, wie sie mit unvorhergesehenen Krisen umgeht.

Wann wird über wichtige Posten entschieden?

Über die Spitzenämter – etwa die Chefs oder Chefinnen des Finanzministeriums oder allfälliger Superministerien – wird schon früh gesprochen. Auch darüber, wie viele Ministerien und Staatsekretariate jeder Partei zustehen. Das definitive Personaltableau entsteht jedoch erst in der letzten Runde beim Abschluss des Koalitionsvertrags. Weil im Februar nächsten Jahres auch der Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin neu gewählt wird, dürfte auch dieses Amt zur Verhandlungsmasse dazugehören.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Wie lange dauern die Verhandlungen noch?

Wenn SPD, Grüne und FDP schnell sind, könnte eine Ampel-Regierung mit einem Kanzler Scholz vor Weihnachten im Amt sein. Das ist jedenfalls dessen erklärtes Ziel. Es könnte aber auch leicht länger dauern. Alle drei Parteien werden einen Koalitionsvertrag von einem Parteitag genehmigen lassen, die linken Parteien allenfalls auch von ihren Mitgliedern. 2017 dauerte es – inklusive der gescheiterten «Jamaika»-Gespräche – 171 Tage, bis Angela Merkel vom Bundestag zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt wurde. Nach der Wahl im September 2017 nahm ihre Regierung Mitte März 2018 die Arbeit auf. Im Jahr 2009, als Merkels Christdemokraten mit der FDP koalierten, dauerten die Verhandlungen hingegen lediglich 31 Tage.

Was passiert, wenn die Parteien sich nicht einigen?

Dann geht das Spiel von vorn los. Angesichts der Kräfteverhältnisse im Bundestag wären auch ein Jamaika-Bündnis (CDU/CSU, Grüne, FDP) oder eine Grosse Koalition (SPD und CDU/CSU) möglich. Allerdings weiss derzeit niemand, ob die CDU nach ihrer schweren Niederlage und dem bevorstehenden Umsturz in der Partei in den nächsten Wochen überhaupt regierungsfähig sein wird. Eine erneute Grosse Koalition will keine der beiden Parteien – auch die deutschen Wählerinnen und Wähler wollen diese Konstellation nicht. «Scheitern ist eigentlich keine Option», sagte Grünen-Chef Habeck am Sonntagabend im ZDF. Sollte wieder eine Koalition aus SPD und Union entstehen, würde Deutschland «durchdrehen». «Wir müssen uns schon ein bisschen zusammenreissen.»