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Meinung

Papablog: Was soll mal aus dir werden?
Warum wir diesen Satz heute nicht mehr hören

Junge Menschen scheinen zu begreifen, dass es keine Work-Life-Balance gibt: Maturfeier am Gymnasium Liestal 2019.
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«Ich weiss nicht, was aus diesem Kind mal werden soll.» Ich erinnere mich an eine Zeit, als dieser Satz so überpräsent in der Luft hing wie eine Pollenart, auf die man allergisch reagiert. Kurz vor dem Abitur war er allgegenwärtig. Gar nicht mal unbedingt wegen meiner eigenen Eltern, aber es gab immer irgendeinen Erwachsenen, der mit diesem Satz gerade leicht verzweifelt stöhnend einen Teenager einseifte. 

Im Studium wurde er zunächst seltener, weil man sich nicht mehr so häufig in den Zuständigkeiten älterer Erwachsener aufgehalten hat. Und dann wurde er transformiert in den Satz «Was macht man denn dann damit?» Zumindest, wenn man nicht gerade ein Studium gewählt hatte, bei dem alle dachten, es wäre vollkommen klar, worauf es hinausläuft. Deutsch und Geschichte mit Lehrdiplom zum Beispiel. Damit wurde man entweder Lehrkraft oder Comedian.

Dann war er für ein paar Jahre weg. Nun ja, nicht richtig. Er wurde erneut transformiert. Diesmal in ein elterlich-besorgtes «Glaubst du wirklich, dass das funktioniert?!», wenn man mal wieder auf Besuch daheim war. Als junger Erwachsener machte man irgendwas und es lief auch irgendwie, aber was genau war nicht immer allen klar. 

Ein warmes Plätzchen in einem kalten Raum

Anfang der 2010er-Jahre, als meine beiden älteren Kinder in die Schule kamen, war der Satz wieder da – beinahe in seiner Ursprungsform. Nur die Verneinung fiel weg. «Ich weiss, was aus diesem Kind mal werden soll», erzählten mir Eltern auf dem Spielplatz. Das war nicht notwendigerweise als Forderung an das Kind gemeint. Mehr als ein gedankliches Vortasten in einem sehr weiten, kalten Raum, um dort ein warmes Plätzchen für jemanden zu finden, den man sehr liebt. Es war ein Vorbote dessen, wie ich es heute erlebe.

Denn heute steht meine älteste Tochter kurz vor dem Schulabschluss und dieser Satz ist in seiner ganzen Dramatik und Erwartungslast nicht mehr zu finden. Weder liegt er mir auf der Zunge, noch höre ich ihn bei anderen. Schlicht und ergreifend, weil viele in meiner Generation es besser wissen.

Für viele meiner Generation gab und gibt es keine bruchlose Erwerbsbiografie mehr. Kein ehrlich gemeintes Aufstiegsversprechen, keine Jobgarantie, keine sichere Rente. Wir sind die, die nachdrücklich aufgefordert wurden, «irgendwie das Beste draus zu machen». Praktika, Auslandsaufenthalt, drei Fremdsprachen, sechs Jahre Berufserfahrung möglichst schon beim Erreichen der Volljährigkeit. Und natürlich müssen wir, mein Lieblingshasswort, «flexibel» sein.

Die uns nachfolgenden Generationen scheinen zu begreifen, dass es keine Work-Life-Balance gibt. Nur Life.

Viele von uns waren und sind notgedrungenerweise flexibel. Wir machen mal das und dies und dann wieder dies und das. Wir wundern uns nicht darüber, dass die nachfolgenden Generationen keinen Bock auf Vollzeitjobs und Überstunden haben. Denn die damit verbundenen Versprechen können inmitten von digitaler Revolution, Klimakrise, globalen Kriegsszenarien und politischen Unsicherheiten nicht eingelöst werden.

Meine Generation ist die, die man noch mit dem Hinweis auf die Work-Life-Balance verarschen konnte. Man konnte noch so tun, als hätte man mit dem Ausbau von Kindertagesstätten oder einem Ferientag mehr wirklich etwas für diese Balance getan – und nicht einfach nur das Mindeste. 

Die uns nachfolgenden Generationen scheinen zu begreifen, dass es keine Work-Life-Balance gibt. Nur Life. Und immer weniger sind bereit, mit ihrer Lebenszeit für Dinge zu bezahlen, die sie vielleicht irgendwann in einem obskuren Später einmal bekommen werden. Falls nichts dazwischen kommt. Es kommt aber fast immer etwas dazwischen. Also weiss ich nicht, was aus diesem Kind mal werden soll. Das Kind auch nicht. Aber ich weiss, dass es hier und heute ziemlich grossartig ist.