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Letzte CS-Generalversammlung
Die Beerdigung der Credit Suisse – «Alles Verbrecher. Ihr gehört hinter Gitter. Brot und Wasser»

Axel Lehmann, der Präsident der Credit Suisse, tritt zum ersten und letzten Mal vor den Aktionärinnen und Aktionären der Credit Suisse auf. 
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Es war einmal die Credit Suisse, es war einmal eine stolze Bank. Nun wurde sie zu Grabe getragen, an der Generalversammlung: Ort der Beerdigung, Ort der Abrechnung – in dieser Bankenfamilie sind sich nicht alle wohlgesinnt.  

Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann weiss das. Der Banker, ein Frühaufsteher, Typ Technokrat, steht vor die 1748 Aktionärinnen und Aktionäre im Zürcher Hallenstadion und eröffnet am Dienstagmorgen mit einer Grabrede auf die CS die letzte Generalversammlung.

Lehmann erzählt vom letzten Kampf, von der Dynamik der Märkte, vom Vertrauensverlust und von der fatalen Woche im März, die zur Übernahme durch die UBS geführt hat. Die Bank war schon lange krank, sie litt an einer verseuchten Unternehmenskultur und einem zweifelhaften Risikoverhalten. Kunden zogen massiv Gelder ab, am Ende wollte ihr niemand mehr neues geben. Im Bankenjargon: Sie blutete aus. Kein Verband, kein Versprechen, keine Geldzusage konnte mehr helfen.

Axel Lehmann findet Worte, die er bei seinem letzten Auftritt an der Pressekonferenz in Bern nicht fand. 

Lehmann findet Worte, die er bei seinem letzten Auftritt an der Pressekonferenz mit Finanzministerin Karin Keller-Sutter nicht fand. «Ich bitte Sie um Entschuldigung. Es tut mir leid», sagt er. Mit aller Kraft habe die CS das Steuer noch herumreissen wollen, es habe aber nicht geklappt. Nun möchte er nach vorne schauen. Er lobt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verweist auf den gesunden Kern der Bank in der Schweiz. Vor kurzem noch undenkbar, dankt er sogar der UBS, einst erbitterte Rivalin auf dem Schweizer Finanzplatz.  

Lehmann trifft den Ton. Es sind kluge Worte, sie verhindern fürs Erste Buhrufe und Chaos – bei der Bank wurde im Vorfeld mit dem Schlimmsten gerechnet. Was Lehmann jedoch nicht ablegt, ist ein Schuldbekenntnis. Für den CS-Präsidenten liegen die Gründe für das Scheitern anderswo. Bei den Märkten, dem Kollaps der Regionalbanken in den USA. Auch am Ende der Bank ging es um Grösseres: Die UBS musste die CS übernehmen, um die internationale Stabilität und Sicherheit der Finanzmärkte wieder sicherzustellen. 

Diese Geschichte ist den Aktionären sehr präsent, ebenso die fauligen Erinnerungen an den Zerfall des Aktienkurses: 83.11 Franken im Mai 2007. 53.06 Franken im Oktober 2009. 26.64 Franken im Oktober 2013. 6.90 Franken im Oktober 2020. 0.76 Franken im März 2023. Soll keiner sagen, der Tod hätte sich nicht abgezeichnet. 

Der Reihe nach treten die Aktionäre nach vorne. Grösste Gemeinsamkeit: die miese Laune. Manche können ihre Wut moderieren, andere äussern sie unverhohlen. Da ist der Mann, der die Verwaltungsräte am liebsten ans Kreuz nageln würde. Ein anderer hat Baumnüsse mitgebracht, erst gegessen, dann wieder zusammengeleimt. Hohle Nüsse für das Management. Für einen weiteren gehören die Manager ins Gefängnis. Aus dem Publikum kommt der Ruf: «Alles Verbrecher. Ihr gehört hinter Gitter. Brot und Wasser.»

Es gibt die wüsten Voten, aber auch die fatalistischen: «Wissen Sie, in meinem Alter werden Beerdigungen häufiger», sagt ein älterer Mann am frühen Morgen. Er ist erst seit kurzem Aktionär der Credit Suisse. So viel wie diesmal habe er noch nie für ein Ticket ins Hallenstadion bezahlt, einen fünfstelligen Betrag. 

Früher war man stolz auf eine Bank, die besser gemanagt ist als die UBS. Heute ist das Unverständnis bei vielen Aktionärinnen und Aktionären der CS gross. 

Die Aktionäre kritisieren, sie spotten. Manche sind so traurig, dass ihnen die Sprache stockt. Und einige stellen auch ganz grundsätzliche Fragen. Ein Anleger macht darauf aufmerksam, dass manche Menschen ihre Altersvorsorge in dieses einst solide Wertpapier investiert haben und heute wohl Suizidgedanken hätten. Ein Anwalt aus Zürich stellt Frage um Frage zum Untergang der Bank: Wie viel Geld floss wann ab? Hätte die CS über die Abflüsse von Kundengeldern transparenter informieren müssen? Warum hat Lehmann gesagt, dass die Abflüsse der Vermögen gestoppt sei? 

Es ist einer der wenigen heiklen Momente für Axel Lehmann. Der Präsident bittet den Votanten, sich kürzerzufassen. Er macht weiter, Lehmann unterbricht noch einmal. Der Anwalt sagt: «Als Aktionär habe ich das Recht, hier zu sprechen.» Aus dem Saal ist Unterstützung und Widerspruch zu hören: «Lasst ihn ausreden!», oder «Mikrofon abstellen».

Der 64-jährige Lehmann steht während der ganzen Zeit am Rednerpult, in Anzug und Krawatte, der Bankerrüstung. Auch nach mehreren Stunden zeigt der Hobbyläufer – Kilometerschnitt: rund fünf Minuten – kaum Abnützungserscheinungen. Er holt tief Luft, spitzt die Lippen, nimmt einen Schluck Wasser, meist steht er aber kerzengerade. Falls er leidet, kaschiert er das ziemlich gut. 

Die Hochfinanz hört der Aktionärsdemokratie zu – zumindest heute. 

Nach jeder Kritik reagiert er mit denselben Worten: «Vielen Dank.» Und: «Ich verstehe Ihre Enttäuschung.» Fast schon stoisch nimmt er die Voten mit ihren beleidigenden Noten entgegen. Bankchef Ulrich Körner, Rechtschef Markus Diethelm und Finanzchef Dixit Joshi sitzen aufgereiht daneben. Sie sind stumm und wirken entgeistert, wie Statisten. Die Hochfinanz hört der Aktionärsdemokratie zu – zumindest heute. 

Es wird dann auch noch abgestimmt. Axel Lehmann reicht es für die Wiederwahl als Präsident der Credit Suisse. Mit knapp 56 Prozent – ein schlechtes Resultat. Der Applaus im Hallenstadion ist kurz. Eine Trotzreaktion der Aktionärinnen und Aktionäre, eine weitere Schelte gegen die Bankspitze. 

Genauso muss man die Ablehnung des fixen Lohns für die Geschäftsleitung verstehen. 34 Millionen Franken wären ursprünglich dafür bis zur nächsten Generalversammlung 2024 budgetiert gewesen. Stand jetzt müsste das Management die verbleibenden Wochen bis zur Übernahme durch die UBS ohne Lohn arbeiten. Man werde im Verwaltungsrat sehen, wie damit umzugehen sei, sagt Lehmann.

Das Ende der Credit Suisse. Nach der Generalversammlung verabschiedet sich die Spitze der Bank. 

Die letzte Generalversammlung der Credit Suisse endet um 15.27 Uhr nach knapp fünf Stunden – und mit ihr auch ein Stück Schweizer Selbstverständnis. Bald ist die Credit Suisse Geschichte, sie wird von der UBS geschluckt. Präsident Lehmann verabschiedet die Aktionärinnen und Aktionäre in den Apéro.  

So weit ist es gekommen: Früher lachten die Angestellten der Grossbank über die «Brot und Wurst»-Banken, über die Kantonal- und Raiffeisenbanken, die an hemdsärmligen Apéros Nähe und Vertrauen schaffen wollten.

Nun gibt es zum Leichenmahl Rotwein, Spargelrisotto – und Minibratwürste.