Wirtschaftshistoriker zur Teilzeit«Die Arbeitszeit ist wegen des Wohlstands in den Fokus gerückt»
Tobias Straumann von der Universität Zürich glaubt nicht daran, dass nach dem Freitag bald auch noch der Donnerstag für viele Personen Teil des Wochenendes wird.
Herr Straumann, die Wirtschaft lechzt nach Arbeitskräften. Diese nutzen ihre Macht, indem sie zunehmend in Teilzeitpensen arbeiten. Sind Sie überrascht?
Man muss differenzieren, in der aktuellen Diskussion werden viele Dinge vermischt: Dass Arbeitnehmende weniger lange arbeiten als noch vor 150 Jahren, ist ein struktureller, langfristiger Trend. Das aktuelle Wehklagen darüber ist dagegen zyklisch, es hörte sich Ende der 80er- und Ende der 90er-Jahre genau gleich an: Wir befinden uns wie damals in einer überhitzten Konjunktur. Das wird sich in den nächsten Monaten legen, sobald die Zinserhöhungen der Zentralbanken ihre Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen.
Trotzdem: Die Lebensqualität der Arbeitnehmenden stieg in den letzten 150 Jahren nicht linear, sondern wohl eher in jenen Phasen, in denen sie am längeren Hebel waren – wie der jetzigen.
Liegt die Verhandlungsmacht bei den Arbeitnehmenden, steigen entweder die Löhne oder sinkt die Regelarbeitszeit. Bis sich die 48-Stunden-Woche in den 30er-Jahren durchgesetzt hatte, zielten die Bemühungen eher auf die Arbeitszeit, nach dem Zweiten Weltkrieg eher auf den Lohn. Seit ein paar Jahrzehnten führt der hohe Wohlstand dazu, dass die Arbeitszeit wieder in den Fokus gerückt ist. Wichtig ist grundsätzlich, dass die Produktivitätsfortschritte über lange Frist in einer der beiden Formen an die Angestellten weitergegeben werden.
Man könnte den Trend zur Teilzeit auch so auslegen: Weil die Löhne gestiegen sind, können sich viele Menschen, die vor einigen Jahren noch im Vollzeitpensum gearbeitet hätten, ein Teilzeitpensum leisten.
Ja, allerdings ist für Männer eine Vollzeitanstellung trotz allem noch der Standard. Unabhängig vom höheren Reallohn spielt insbesondere bei Paaren mit Kindern eine Rolle, dass Frauen vermehrt zum Haushaltseinkommen beitragen. Sie können damit die Gehaltseinbussen wettmachen, die durch die Pensumsreduktion vieler Männer entstehen, die sich verstärkt zu Hause engagieren.
Besonders beliebt scheint zu sein, das Wochenende zu verlängern, indem man am Freitag freinimmt. Folgt bald der Donnerstag?
Das sehe ich nicht. Der Anteil an Teilzeitpensen nimmt zwar seit Jahrzehnten zu, weil mehr Frauen arbeiten. Damit hat auch die Arbeitszeit pro erwerbstätiger Person abgenommen. Aber eine dramatische Arbeitszeitverkürzung ist nicht zu erwarten. Wegen der Konkurrenz aus Asien kann ich mir das für viele Branchen auch künftig nicht vorstellen. Man kann nicht beliebig kürzen und wettbewerbsfähig bleiben.
Welche Rolle hat die schleichende Abschaffung des Samstags als Arbeitstag in den 1960er-Jahren für die Volkswirtschaft gespielt?
Keine. Es arbeiten ja immer noch viele Menschen am Samstag. Die Fünftagewoche ist die Norm geworden, aber sie gilt längst nicht für alle.
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