Vormarsch der TalibanDie afghanische Armee ist hilflos – auch wegen Donald Trump
Der drohende Kollaps der Regierungstruppen im Kampf gegen die Islamisten überrascht nach jahrelanger Aufbauarbeit durch internationale Truppen. Doch der Zusammenbruch begann bereits im Februar 2020 in Doha.
Das Tempo, mit dem die Taliban in Afghanistan nach dem Abzug der internationalen Truppen eine Provinzhauptstadt nach der anderen einnehmen, überrascht auch Militärexperten. «Wir sind sprachlos», sagte kürzlich ein deutscher General, der den Einsatz der internationalen Truppen über fast alle Etappen eng begleitet hat. Am Sonntag fiel Kunduz in die Hände der Islamisten. Und die Offensive der Taliban dauert an.
Wie konnte es passieren, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nach Jahren der Aufbauarbeit durch internationale Truppen innerhalb von wenigen Wochen kollabieren? Ranghohe deutsche Offiziere, die anonym bleiben wollen, entwerfen ein düsteres Bild. Zusammen mit den internationalen Partnern habe Afghanistans Armee mit ihren immerhin 180’000 Soldaten noch gut funktioniert. Die Hilfe aus dem Ausland habe wie «Korsettstangen» gewirkt. Ohne sie aber bricht die Hülle zusammen.
Über hundert Flugzeuge und Helikopter
So verfügte die afghanische Luftwaffe noch Ende 2020 über 163 Flugzeuge und Helikopter, darunter Transportflugzeuge und Maschinen für den Kampfeinsatz. Bei einem Besuch 2017 standen auf dem mit Stacheldraht und Betonhindernissen schwer geschützten Stützpunkt bei Mazar-i Sharif sorgfältig parkierte einmotorige Propellerflugzeuge, A-29 Super-Tucano. Die Maschinen sahen aus wie aus einer Oldtimershow, aber das täuschte.
Die mit Maschinenkanonen, Raketen und Wärmebildgeräten ausgerüsteten A-29 gelten als eine der wirksamsten Waffen im Kampf gegen die Taliban. Die kleine Luftwaffe wurde zum Stolz der militärischen Aufbauhelfer aus dem Ausland. Afghanistans Fernsehen feierte die Kampfpiloten, die ausserhalb des Cockpits stets mit Blousons und Designer-Sonnenbrillen zu sehen waren, als neue Helden der Nation und des Islam. Die Männer selbst schworen sich gegenseitig, sich lieber zu erschiessen, als den Islamisten in die Hände zu fallen.
Abkommen von Doha half den Taliban
Doch inzwischen können viele der Maschinen nicht mehr abheben. Die Reparatur, die Wartung – dafür sorgten Vertragspartner der Amerikaner, die nun ebenfalls das Land verlassen haben. Die Zahl der einsatzfähigen Kampfflugzeuge habe sich dramatisch verschlechtert, heisst es aus Kreisen der ehemaligen Verbündeten. So fehlt den Truppen am Boden die dringend nötige Luftunterstützung. Die Taliban töten bei Anschlägen inzwischen gezielt Piloten der Luftwaffe. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete kürzlich von mindestens sieben Fällen.
Der Zusammenbruch der afghanischen Streitkräfte hat aber viel früher begonnen: im Februar 2020. Bis dahin hatten sie sich halbwegs behauptet, wenn auch unter hohen Verlusten. Dann leitete US-Präsident Donald Trump mit dem Abkommen von Doha zwischen den USA und den Taliban den Abzug internationaler Truppen ein. Während aber die USA und die Taliban eine Art gegenseitigen Waffenstillstand vereinbarten, blieben die afghanischen Sicherheitskräfte im Visier der Islamisten. Die Zahl der Angriffe nahm sogar noch zu, weil die Taliban sich durch Geländegewinne eine stärkere Position für die Verhandlungen sichern wollten.
Allein auf dem Feld und zerschlissen
Die afghanische Armee, die bis dahin auf Unterstützung durch die Amerikaner angewiesen war, stand damit allein auf dem Feld und wurde regelrecht zerschlissen. Die Taliban hätten die Zeit genutzt, «sich in aller Ruhe im Land auszubreiten und sich neu in Stellung zu bringen», sagt ein deutscher Offizier. Wegen mangelnder Erfolge im Kampf gegen die Taliban wurden auf Schlüsselpositionen erfahrene militärische Führer abgelöst, was die Armee aber nur weiter schwächte.
Zu den wenigen Stärken des afghanischen Militärs gehören die hoch motivierten Special Forces, zusammengesetzt aus Todfeinden der Taliban. Sie werden fast immer gerufen, wenn die Gotteskrieger Geiseln nehmen, ein Hotel stürmen oder Terrortrupps in die Städte schicken. Meist sind es die Spezialeinheiten, welche die Sache schliesslich beenden. Sie werden nun für die Zukunft in der Türkei weitertrainiert, nur ist die Frage, ob es eine solche Zukunft für sie noch gibt. Mit ein paar Tausend Elitesoldaten ist dieser das ganze Land umfassende Krieg nicht zu gewinnen.
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