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Italienischer Gewerkschaftsboss im «Katar-Gate»
Die 50’000 Euro steckten in Couverts mit dem Weihnachtsmann drauf

«Wir sollten Katar wie eine Erfolgsgeschichte betrachten»: Luca Visentini aus Triest, Gewerkschafter und Dichter, steht unter Korruptionsverdacht. 
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Manchmal ist der Weg von der Poesie in die Prosa des Lebens nicht sehr weit, zuweilen ist er sogar erschreckend kurz. Luca Visentini, 53 Jahre alt, aus Triest, Gewerkschafter und Dichter im Nebenberuf, vier publizierte Bücher, hatte bis vor kurzem eine Karriere voller Erfolge, Beförderungen und Wertschätzungen. Einen Monat ist es her, da wurde er im australischen Melbourne zum Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes gewählt, zum obersten Vorkämpfer also für die Rechte und den Schutz der Arbeiter überall auf der Welt – und das ziemlich triumphal, mit einem Glanzresultat.

Seinen guten Ruf hatte sich Visentini in derselben Funktion im Europäischen Gewerkschaftsverband verdient, dem er davor sieben Jahre lang vorgestanden hatte. Er war immer bekannt dafür, besonders umgänglich zu sein, ein charmanter Netzwerker. Italiens Linke war stolz auf diesen Mann, der ihre Fahne in die Welt trug.

War am Ende alles ein grosses Missverständnis?

Dann kam der 9. Dezember, und plötzlich war nichts mehr, wie es war. Visentini war eine jener sechs Personen, die im Zug der Ermittlungen der belgischen Justiz verhaftet wurden wegen mutmasslicher Verwicklung in einen Korruptionsskandal, der bald «Katar-Gate» genannt werden sollte. Verhaftet wurden unter anderem auch die Griechin Eva Kaili, damals Vizepräsidentin des Europaparlaments, der italienische Lobbyist und frühere linke Europaabgeordnete Antonio Panzeri sowie dessen früherer Assistent, der Mailänder Francesco Giorgi.

Sie alle sitzen noch immer in Haft. Visentini dagegen kam nach weniger als 48 Stunden wieder frei, unter Auflagen: Er darf nicht mit anderen Verdächtigten kommunizieren; und sollte er Europa verlassen wollen, braucht er dafür die Erlaubnis eines Richters. Aber warum kam er frei? War am Ende alles ein Missverständnis?

«Wir sollten Katar wie eine Erfolgsgeschichte betrachten.»

Luca Visentini

Visentini erzählt den italienischen Medien, er habe die Ermittler davon überzeugen können, dass er unschuldig sei. Sie haben nach 50’000 Euro in bar gefragt, die ihm Panzeri in Umschlägen mit Aufklebern eines Weihnachtsmannes überreicht hatte. Sie vermuteten, dass Visentini dieses Geld und womöglich noch viel mehr davon für eine Stellungnahme über die Arbeitsbedingungen in Katar erhalten haben könnte.

Vor der WM sagte Visentini folgenden nun oft zitierten Satz: «Wir sollten Katar wie eine Erfolgsgeschichte betrachten: Die Weltmeisterschaften boten dem Land die Gelegenheit, den Wandel zu beschleunigen, und diese Reformen können anderen Ländern, die eine grosse Sportveranstaltung organisieren, nun als gutes Beispiel dienen.»

Die Gerüchte? Alle falsch!

War diese geschönte Deutung gekauft? Visentini dementiert; er sei immer kritisch gewesen mit Katar, der Satz müsse im grösseren Kontext gesehen werden. Und das Geld? Er sei schon auch verwundert gewesen, dass Panzeri ihm die «Schenkung», diese 50’000 Euro aus den Kassen der Menschenrechtsorganisation Fight Impunity, in Cash überreicht habe. Doch Panzeri habe ihn beruhigt, das sei nun mal gang und gäbe in humanitären Organisationen wie seiner. Bedingungen habe es keine gegeben, sagt Visentini. Er habe das Geld für Reisespesen ausgegeben, für seine Wahlkampagne. Und mehr Geld sei nicht geflossen, die Gerüchte seien falsch.

Von seinem Amt beim Gewerkschaftsbund hat Visentini sich angeblich auf eigenen Wunsch suspendieren lassen, damit sein Fall von internen und externen Inspektoren geprüft werden könne. Er stellt sich auf ein langes Verfahren der Justiz ein. Es sei ein «Schock», eine «furchtbare Geschichte».

Einige politische Freunde, die ihn Ende November nach der Wahl noch gefeiert hatten, korrigierten nun schnell ihre Posts in den sozialen Medien. Der Sozialdemokrat Andrea Orlando etwa, bis vor kurzem Arbeitsminister Italiens, löschte seinen Tweet, in dem er Visentini gratuliert hatte, und schrieb dann: «Wenn nur die Hälfte dessen wahr ist, was man über diesen Skandal weiss, wäre das schon absolut widerlich.» Das Geld aus Katar sei Hochverrat an den demokratischen Werten. Alle Lyrik ist weg, dabei laufen erst die Ermittlungen.