Analyse zum Kulturkampf in DeutschlandWer gefährdet hier die Demokratie?
Vereine, die gegen Extremismus und die Diskriminierung von Minderheiten kämpfen, sollen vom Staat stärker unterstützt werden. Liberale, Konservative und Rechte laufen Sturm.

Das angeblich so skandalöse Vorhaben trägt einen entwaffnend harmlosen Titel: Demokratiefördergesetz. Was es will, ist leicht erzählt: Vereine und zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich gegen Extremismus und die Diskriminierung von Minderheiten einsetzen, sollen vom deutschen Staat verlässlicher unterstützt werden. Erstmals soll es dafür auf Bundesebene einen gesetzlichen Auftrag geben.
Konkret geht es um Akteure, die gegen Rassismus, Antisemitismus, Islamismus, Sexismus, Hass auf Transmenschen oder Menschen mit Behinderung kämpfen. Sie betreiben Beratungsstellen für Opfer, bieten Radikalen Ausstiegshilfe, informieren die Öffentlichkeit, bilden junge Menschen, stärken die Prävention. Schon heute werden viele dieser Tätigkeiten staatlich unterstützt. Das Familienministerium gab für 700 solcher Projekte im letzten Jahr insgesamt 180 Millionen Euro aus.
Solche Förderung existiert seit Jahrzehnten, im Familienministerium seit 2002. Schon die letzte Grosse Koalition von Angela Merkel (CDU) wollte dafür ein eigenes Gesetz erlassen, der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) warb sehr dafür. Im Wahlkampf ging ihm 2021 dann aber die CDU von der Fahne – damals aus denselben ideologischen Gründen, aus denen sie auch jetzt den neuen Gesetzesentwurf bekämpft.
Die FDP blockiert – seit einem Jahr
Die neue Regierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen schrieb ein Gesetz zur Förderung der Demokratie in ihren Koalitionsvertrag. Dessen Entwurf wurde Ende 2022 vom Kabinett beschlossen, vor einem Jahr erstmals im Bundestag diskutiert – und hängt seither dort fest, weil die FDP seine Verabschiedung verweigert. Als Anfang Jahr Millionen von Deutschen gegen Rechtsextremismus auf die Strasse gingen, riefen Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die FDP nochmals dazu auf, einzulenken. Aber die denkt nicht daran.
Um das Gesetz tobt längst ein wüster Kulturkampf. Konservative und Rechte wehren sich vor allem dagegen, dass mit Staatsgeld «linke Projekte» finanziert werden, die sich in Teilen gegen sie selbst richten: Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus etwa trifft die AfD frontal. Aus Sicht von Rechten sind die meisten Gruppen, die sich gegen sie wenden, selbst extremistisch – einfach von links. Es gehe nicht um die Förderung von Demokratie, sondern darum, missliebige Meinungen zu unterdrücken und erwünschte zu prämieren.
Liberale wollen grundsätzlich verhindern, dass sich der Staat zu sehr in die öffentliche Meinungsbildung einmischt: Dies verzerre den politischen Wettbewerb, spalte die Gesellschaft und schwäche die Demokratie, statt sie zu stärken. Der Staat solle sich darauf konzentrieren, geltendes Recht durchzusetzen, nicht über politische Einstellungen wachen oder das Volk umerziehen.
Linke Meldeportale machen manchen Angst
Besondere Ängste und Fantasien haben bei den Gegnern des Gesetzes Portale ausgelöst, bei denen «antifeministisches» oder überhaupt «diskriminierendes» Verhalten gemeldet werden kann – ausdrücklich auch Verhalten «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze». Diese «Petzportale», so die Kritik, seien nicht weniger als «staatlich finanzierte Pranger», die «Denunziantentum» und «Blockwartmentalität» förderten. Hier würden mit staatlicher Lizenz unbescholtene Bürger geächtet und die Meinungsfreiheit verletzt.
Wer sich die Portale ansieht – das der Amadeu-Antonio-Stiftung etwa oder die «Berliner Register» –, stellt fest, dass die Vorwürfe überzogen bis absurd sind. In keinem Fall werden auf ihnen Fehlbare mit Namen an den Pranger gestellt, vielmehr werden in anonymisierter Form Vorfälle gesammelt, um ein Lagebild erlebter Diskriminierung zu erstellen, wie es die Polizei nicht haben kann. Die Erfahrung mit Hetze in den sozialen Medien belegt, dass auch nicht strafbares Verhalten das Zusammenleben nachhaltig vergiften kann. Schliesslich: Die Portale richten sich nicht gegen Täter, sondern an Opfer – deren Berichte sie sammeln, die beraten oder zur Betreuung weitervermittelt werden.
Die Gegner des Gesetzes ficht solche Erkenntnis nicht an. Sie haben mit Absicht einen Popanz erschaffen, an dem sie sich nun mit maximalem politischem Aufwand abarbeiten. Man könnte ob des Kampfeifers glatt vergessen, dass dessen Dringlichkeit eher gering ist: Das Gesetz, das im Bundestag seit einem Jahr vor sich hinruht, ist politisch tot, solange die FDP nicht ihre Meinung wechselt – was sehr unwahrscheinlich ist.
Das Gesetz, das die Demokratie fördern soll, wird also erst mal nicht Gesetz werden. Damit ist aber wohl weder viel verloren noch gewonnen. Weder sollten seine Befürworter so tun, als ob die Demokratie ohne es nun quasi wehrlos dastünde, noch seine Gegner, als ob sie die freie Gesellschaft gerade gegen einen übergriffigen Staat gerettet hätten.
In der Sache ändert sich ohnehin erst mal nichts: Ministerin Paus hat bereits angekündigt, dass auch in diesem und im nächsten Jahr jeweils 180 Millionen für diese Zwecke zur Verfügung stünden. Und die Laufzeiten der Verträge könne man auch ohne Gesetz verlängern.
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