Handel mit der EUDeutschland kommt der Schweiz bei Medizinalprodukten entgegen
Nach dem Rahmenabkommen-Aus waren Schweizer Medizinaltechnikfirmen beim Export mit ersten Problemen konfrontiert. Nun gibt es erste Lösungen, zumindest mit den deutschen Bundesländern.
Was ist passiert?
Die Medtech-Branche war die erste Leidtragende nach dem Ende der Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Die EU-Kommission hatte die nationalen Behörden am 26. Mai 2021 angewiesen, selbst bestehende Zertifikate von der Schweizer Zertifizierungsstelle SQS rückwirkend nicht mehr anzuerkennen. Diese sind nötig, um etwa Blutdruckmessgeräte, Verbandsmaterial oder andere Medizinalprodukte in der EU zu verkaufen.
Betroffen sind 54 Schweizer Hersteller, in erster Linie kleinere und mittelgrosse Unternehmen ohne Niederlassung in der EU. Doch nun ist Bewegung in die Sache gekommen, mit einem Alleingang der Deutschen. Denn die deutschen Bundesländer, in deren Kompetenz dies fällt, haben beschlossen, dass die SQS-Zertifikate für alte Produkte weiterhin ihre Gültigkeit haben. Die neue Pflicht, einen Bevollmächtigten in Deutschland zu benennen und die Etikettierung anzupassen, gilt aber weiterhin.
Warum ist gerade mit Deutschland ein solches Übereinkommen zustande gekommen?
Einer der Hauptgründe dürfte die Einsicht gewesen sein, dass gewisse Produkte von Schweizer Firmen schlicht fehlen würden in Deutschland. Laut Daniel Delfosse, Geschäftsleitungsmitglied von Swiss Medtech, haben die guten nachbarschaftlichen Beziehungen mitgeholfen: «Aber Deutschland profitiert auch stark von Schweizer Medizinalprodukten.»
Zudem habe die Pandemie wohl mitgeholfen, dass es zu diesem Schritt gekommen sei. So brauche es etwa für die Beatmungsgeräte von stark betroffenen Covid-Patienten eine Unzahl kleiner technischer Elemente, von denen Deutschland einen Teil aus der Schweiz beziehe. Es habe zweifellos Mut des Nachbarlandes gegenüber der EU-Kommission gebraucht, um sich gegen diese zu stellen. Das falle einem grossen und mächtigen EU-Land sicher leichter als kleineren Ländern, so Delfosse.
Ein weiterer Grund dürften auch Unternehmen sein, die in Deutschland beheimatet sind, aber ein Schweizer Zertifikat halten, das bisher anerkannt war. Sie waren von der grundsätzlichen Aberkennung der SQS-Zertifikate ebenfalls betroffen. Und offenbar haben sich diese Firmen direkt an ihre Länderregierungen gewandt, um eine Lösung des Problems voranzutreiben.
Wie wichtig ist der deutsche Markt für die Medtech-Branche?
Der nördliche Nachbar der Schweiz ist ein wichtiger Abnehmer von Medizinalprodukten. Delfosse schätzt, dass jährlich Waren im Wert von knapp zwei Milliarden Franken nach Deutschland exportiert werden. Insgesamt produzieren rund 350 Schweizer Medtech-Firmen Produkte, die für rund 12 Milliarden Franken exportiert werden. Die Hälfte davon geht an die EU.
Was bedeutet dies für mögliche Übereinkommen mit anderen Ländern?
Die Schweiz hat nach der Aberkennung der in der Schweiz zertifizierten Produkte den Kontakt mit allen Nachbarländern gesucht. Delfosse hofft nun, dass das Übereinkommen mit Deutschland ein positives Signal an die anderen Länder ist, es ihnen gleichzutun.
Aus anderen Ländern der EU gibt es derzeit keine Hinweise darauf, dass das Beispiel Deutschland Schule machen könnte. Allerdings könnte das Vorgehen von Deutschland tatsächlich andere Länder motivieren, dem Beispiel zu folgen. Und vor allem auch aufzeigen, dass die Anerkennung in gegenseitigem Interesse sein kann.
Für betroffene Firmen gibt es allenfalls eine andere Lösung, sie braucht aber Zeit. Denn die Zertifizierungsstelle SQS hat in Baden-Württemberg bereits Büros angemietet, mit dem Ziel, dass die Schweizer Firmen dann über diese Niederlassung ihre Zertifikate erhalten können, die in der gesamten EU gelten.
Bleibt die EU bei ihrer ablehnenden Haltung?
Die EU-Kommission hat mit ihrer Mitteilung («notice to stakeholders») vom 26. Mai vor allem Rechtsunsicherheit für Schweizer Firmen und ihre Produkte im Binnenmarkt geschaffen. Ein slowenischer Zöllner hat kurz nach der Ankündigung aus Brüssel sogar einen Lastwagen mit Produkten einer Schweizer Firma mehrere Tage an der Grenze blockiert. Nach diesem Zwischenfall hat sich zwar die Lage entspannt und Schweizer Produkte auch mit alten Zertifizierungen sind in anderen EU-Staaten auf dem Markt. Die Rechtsunsicherheit ist aber geblieben. Acht Firmen der Schweizer Medtech-Branche haben deshalb Anfang Dezember gegen den Schritt der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg geklagt. Mit einem Urteil rechnet Daniel Delfosse von Swiss Medtech allerdings erst 2023.
Zumindest auf dem wichtigen deutschen Markt herrscht jetzt vorläufig etwas mehr Klarheit. Dass sich an der Haltung der EU-Kommission demnächst etwas ändern wird, ist nicht anzunehmen. Die EU-Kommission hat zwei Tage nach der Information die deutschen Behörden kontaktiert und «um zusätzliche Informationen» gebeten, sagte eine EU-Kommissionssprecherin am Donnerstag. Sie betonte dabei, dass die Position der EU-Kommission seit dem 26. Mai 2021 bekannt sei und daran habe sich auch nichts geändert. Mehr wollte die Sprecherin dazu nicht sagen.
Was heisst das für andere Dossiers?
Das Vorgehen Deutschlands ist ein Lichtblick für die betroffene Branche, nicht viel mehr. Alle Entscheide betreffend die Schweiz werden in Brüssel seit dem Abbruch beim Rahmenabkommen auf der höchsten politischen Ebene der EU-Kommission getroffen. Das gilt für scheinbar rein technische Handelsfragen (MRA), aber auch für die Schweizer Beteiligung am Forschungsprogramm Horizon Europe oder den Abschluss eines Stromabkommens.
Im Kampf gegen eine drohende Versorgungslücke versucht zwar auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga, mit Stromversorgern in den Nachbarstaaten technische Lösungen zu finden. Für eine Einbindung in den zunehmend integrierten EU-Strommarkt führt aber kein Weg an einer Einigung mit Brüssel in den institutionellen Fragen vorbei. Ebenso ist es im Ermessen der EU-Kommission, ob Brüssel Verhandlungen über eine Vollassoziierung der Schweiz zum Forschungsprogramm eröffnen will oder nicht.
Der Artikel wurde aktualisiert mit der Stellungnahme aus Brüssel am 27. Januar 2022. Die Sprecherin der EU-Kommission betont darin, dass die Anerkennung durch Deutschland nichts an der ablehnenden Position der EU ändere (zweiter Absatz bei der entsprechenden Frage).
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