Kommentar zur AsylpolitikDer Ständerat sinkt auf einen populistischen Tiefpunkt
Der Ständerat beharrt auf seinem Nein zu Asylcontainern. Dafür will er Eritreer nach Ruanda schicken. Wo ist nur die «Chambre de réflexion» geblieben?
Früher, da war noch Verlass auf den Ständerat. Er war vielleicht etwas konservativer als der Nationalrat, ein wenig legalistischer auch. Nur eines war er nie: populistisch. Zweifelhafte Vorstösse aus dem Nationalrat lehnte der Ständerat zuverlässig ab, Symbolpolitik war ihm ein Gräuel. «Chambre de réflexion» wurde die kleine Kammer deshalb genannt, und ihre Mitglieder waren stolz darauf.
Nun hat der Ständerat den Nationalrat populistisch überholt. Zum zweiten Mal hat er sich am Mittwoch gegen den Bau von Wohncontainern für Asylsuchende ausgesprochen. Obwohl die Kantone – deren Interessen Ständeratsmitglieder eigentlich vertreten sollten – inständig um ein Ja bitten. Obwohl als Kompromiss zur Debatte stand, nur die Hälfte des Kredits zu bewilligen.
Zwar war der Entscheid weniger deutlich als in der ersten Runde. Dass irgendwann, ganz am Ende, doch noch ein Ja resultiert, ist nicht ausgeschlossen. Vorläufig aber macht der Ständerat auf Opposition.
Der Antrag des Bundesrats habe die Finanzkommission erst erreicht, als deren Subkommission schon zu den Krediten getagt habe.
Es stimmt: Das Geschäft von Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) war nicht optimal vorbereitet. Viele Ständeratsmitglieder fühlten sich überrumpelt. Der Antrag des Bundesrats habe die Finanzkommission erst erreicht, als deren Subkommission schon zu den Krediten getagt habe, klagte Kommissionssprecherin und FDP-Ständerätin Johanna Gapany.
Das mag bedauerlich sein. Doch ist es ein vernünftiger Grund dafür, auf vorausschauende Planung zu verzichten und im Herbst eine Krise zu riskieren? Oder, anders gedacht, käme ein Chaos der SVP vor den Wahlen sogar gelegen?
Allein kann die SVP dieses Chaos freilich nicht anrichten, sie stellt keine Mehrheit im Ständerat. Die dominierenden Parteien sind die FDP und Die Mitte – jene Parteien, die kaum von einem Chaos profitieren würden und die dem Ständerat einst zu seinem Ruf verhalfen.
Heute sind sie die treibenden Kräfte hinter populistischen Schnellschüssen. Namentlich die FDP, namentlich Ständerat Damian Müller aus dem Kanton Luzern. Gleich drei asylpolitische Vorstösse von ihm nahm die kleine Kammer zu Wochenbeginn an – mindestens zwei davon gegen alle Vernunft. (Dass sich keine Subkommission damit befasst hatte, spielte hier plötzlich keine Rolle.)
Hauptsache, einen Vorstoss durchgebracht. Hauptsache, gegen die SP-Asylministerin geschossen.
Beispiel eins: Der Ständerat sprach sich dafür aus, abgewiesene Eritreer – 300 Personen – in einen Drittstaat auszuweisen, zum Beispiel nach Ruanda. Aus Sicht des Bundesrats lässt sich das sowohl aus rechtlichen als auch aus praktischen Gründen nicht umsetzen. Tatsächlich haben sowohl Grossbritannien als auch Dänemark schon Ähnliches versucht. Bislang konnte aber kein einziger Asylsuchender nach Ruanda gebracht werden. Das Ja zum Vorstoss: reine Symbolpolitik.
Beispiel zwei: Der Ständerat will, dass der Bundesrat auf Schengen-Ebene Sanktionen gegen Algerien beantragt, weil das Land bei der Rücknahme abgewiesener Asylsuchender angeblich nicht kooperiert. Dass der Bund mit Algerien in dieser Frage einen Durchbruch erzielt hat, dass Sanktionen die Fortschritte gefährden könnten: All das scheint den Ständerat nicht zu kümmern.
Das Motto von FDP und Teilen der Mitte scheint zu sein: Egal, wie sinnlos. Egal, wie leer. Egal, wie destruktiv. Hauptsache, einen Vorstoss durchgebracht. Hauptsache, gegen die SP-Asylministerin geschossen. Der Ständerat gibt gerade die billige Kopie des Nationalrats. Schade!
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