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Mamablog: Ritter und Prinzessinnen
Der SBB-Problemzug tappt in die Genderfalle

Auch als Schüttelzug bekannt: Der Fernverkehrs-Doppelstockzug FV-Dosto der SBB.
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Neulich, ich war im Schüttelzug FV Dosto mit meinen Kindern von Zürich nach Chur unterwegs, kam mir eine alte Notiz in den Sinn. Ich sass im Familienwagen, vis-à-vis der kleinen Rutschbahn, auf einem dieser langen giftgrünen Bänke und betrachtete die Zeichnungen an den Wänden. Die vom Drachen geraubte Prinzessin und den Ritter, der mit heldenhaft erhobenem Schwert zu ihrer Rettung eilt. Und auf dem Tableau gegenüber Comic-Heidi auf der Alp, die fröhlich Blumen pflückt, während sich ihr Geissenpeter-Pendant für ein einzelnes Edelweiss vom Fels abseilt.

Man kann es mit der Genderbrille auch übertreiben.

«Echt jetzt – solche Rollenklischees werden unseren Kindern im neuen Familienwagen der SBB aufgetischt!» Das hatte ich mir damals, ein paar Monate ist es her, notiert, dann aber nichts daraus gemacht. Ich schreibe das im Nachhinein einer gewissen Ermüdung zu. Nicht, dass die Geschlechterdebatte obsolet geworden wäre. Die AHV-Abstimmung, so emotional und sachfremd sie bisweilen geführt wurde, hat erst kürzlich die Baustellen in unserer Gesellschaft in Erinnerung gerufen. Aber man kann es mit der Genderbrille auch übertreiben. Nicht jedes Thema muss unter dem Aspekt der Geschlechter gefasst werden. Nicht immer geht es um Mann versus Frau oder jene, die sich weder als das eine noch das andere definieren.

Astreines Boysplaining

In diesen Chor wollte ich nicht einstimmen. Zudem finde ich die Spielwagen an sich eine tolle Sache. Und jetzt schreibe ich doch über diese Zeichnungen. Der Grund ist eine Unterhaltung, die ich im Zug mithörte. Während meine Kinder an den Haltestangen und auf der Rutschbahn herumturnten, erklärte ein Bub einem Mädchen die Abbildungen, dass der Ritter sich mit dem Pferd aufmache, die Prinzessin aus den Fängen des Drachen zu befreien – astreines Boysplaining.

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Natürlich glaube ich nicht, dass ein einzelnes solches Bild ein fixes Rollenmuster in die Kinderköpfe brennt, und mir ist auch bewusst, dass Bilder manchmal klassische Erzählmotive aufgreifen. Sowohl reale als auch fiktive Rollenbilder haben aber eine kumulative Wirkung, und gerade Kinder sind nicht imstande, dieselben in ihrem historischen Kontext oder schlicht als erzählerische Referenz zu interpretieren. Man kann das anerkennen, ohne in Extreme zu verfallen. Ohne seinen Kindern beispielsweise Kinderbücher vorzuenthalten, weil sie die Idee der Geschlechteräquivalenz nicht einlösen. Es gibt andere Möglichkeiten, den Input zu variieren und mit seinen Kindern ein offenes Gespräch zu führen. Was es braucht, ist ein Bewusstsein für das Thema, und das darf man im Jahr 2022 wohl auch von Organisationen erwarten.

Wer sich hier wie die SBB auf Stereotype beschränkt, dem fehlt für das Geschlechterthema die nötige Sensitivität.

Wie spielerisch der Umgang mit Rollenbildern sein kann, sehe ich nicht zuletzt im Kinderzimmer. Der Spielzeughersteller Lego hat schon vor ein paar Jahren auf Diversität gesetzt, das Angebot an Figuren in den Dimensionen Hautfarbe, Geschlecht und Alter geöffnet. So sitzt man da und fragt sich: Wer soll den Bagger fahren, der Rentner, das dunkelhäutige Mädchen, die non-binäre Hipster-Figur? Es kann auch ein CIS-Männchen sein. Der Punkt ist: Der Wechsel geht unverkrampft, alles steht allen offen.

Sensitivität ist gefragt

Diese Botschaft kann man nicht überall transportieren. Vielen Erzählungen stünde sie im Weg, wie man es im Kino oder in Serien der Streamingdienste beobachten kann, wo das Gender-Diktat allzu oft eine artifizielle, um nicht zu sagen uniforme Diversität erzeugt. Die Wandbilder im Familienwagen eines Zuges dagegen sind eine Spielwiese. Wer sich hier wie die SBB auf Stereotype beschränkt, dem fehlt für das Geschlechterthema die nötige Sensitivität.

Erst diese Woche haben die SBB nach einem Shitstorm entschieden, den Preis für die Nutzung von Wickeltischen und Toiletten an Bahnhöfen den bisher günstigeren Pissoirs anzugleichen. Vielleicht werden sie ja auch im Falle des FV-Dosto-Familienwagens wachgerüttelt – pardon – geschüttelt.