Der Rebell ist manierlich, der Bürger ein Pöbler
So ändern sich die Zeiten: Heutzutage muss die etablierte Politik sich an der politisierten Jugend ein Vorbild nehmen. Insbesondere in Sachen Anstand.

«Beim Arschglarner denke ich manchmal: Irgendwie war mir der Mörgeli lieber.» Mit diesem Tweet hat Mike Müller («Giacobbo/Müller») einen Tag nach Andreas Glarners «Arschlan»-Gate – «Das ist Recht und Ordnung, Frau Arschlan» – umstandslos zurückgegeben. Und die Twitter-Community rotierte. «Arschmüller» war nur eine der erwartbaren Retour-Retourkutschen.
Überhaupt hat die – angeblich versehentliche – verbale Entgleisung des notorisch entgleisenden SVP-Politikers einen dieser Empörungswirbel ausgelöst, die heutzutage als politisches Event durchgehen. Da ist es dann auch fast schon egal, ob die Verhunzung des Namens der Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan vor laufender Kamera, samt rassistischem Verweis auf deren doppelte Staatsbürgerschaft, Absicht oder ein Ausrutscher war.
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Es gab also eine geradezu höfliche, aber verbotene Kundgebung der Klimajugendlichen vor dem Bundeshaus: gewaltlosen, aber illegalen Protest. Und es gab gewisse Volksvertreter, die sich nicht auf die Hüter des Gesetzes verlassen wollten, sondern lieber auf die Kraft ihrer Stimmbänder und ihres Schimpfwortrepertoires. Auch SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel etwa attackierte die Demonstranten mit dem Schlachtruf «Arschlöcher!». Und schon zog die Karawane der (sozialen) Medien weiter, weg von den Klimathemen, hin zum Schmäh-Spektakel, zum Injurien-Zirkus. Zum Trump-Theater.
Ausdruck eines Generationen-Clashs?
Jedenfalls kam es zu den obligaten Rücktrittsforderungen an Glarner, und die grüne Fraktion bemühte sich, Glarners Verhalten im Rat zumindest zu thematisieren. Ohne Erfolg. Im Gegenteil: Heute punkten – vor allem, aber nicht nur – Populisten von rechts mit schlechtem Benehmen, derweil sie sich auf «Law und Order», Recht und Gesetz, berufen und sich dabei erst noch oft als Opfer einer politisch überkorrekten Diktatur darstellen. Und die alten Kämpen und Kämpinnen von links wie die 58-jährige SP-Frau Jacqueline Badran lassen sich triggern.
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Ist das grundsätzlich Ausdruck eines Generationen-Clashs? Nicht die sanften Systemrebellen, denen es um die Sache geht, haben es nötig, den Gegner mit Schlägen unter die Gürtellinie zu malträtieren. Sondern offenbar die, die sich in eben dem System gemütlich eingerichtet haben; die annehmen, dass ihre Haltung allein schon Argument genug ist – der Rest ist Tirade. Es ist, als stünde eine nette, besorgte Blumenkinder-Kohorte den Besitzstandwahrer-Bullies älterer Jahrgänge gegenüber. Wie gehabt.
Es ist höchste Zeit für ein neues neues Normal.
Und die weitere Trumpifizierung der Politik scheint unaufhaltbar. Denn sie funktioniert – pardon! – so verdammt gut mit ihren schockierenden Soundbites. In Zeiten der gnadenlosen Aufmerksamkeitsökonomie hat sie eine Turbo-Dynamik und senkt die Hemmschwellen. Und ist der brutale Ton okay, ist es dann irgendwann auch die brutale Tat?
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Ausgerechnet wir angegraute Verbal-Voyeure allerdings gewinnen unserem Frisson des Entsetzens über die heutige Unkultur durchaus Lust ab. WTF, das ist das neue Normal! Und wir sind hip mittendrin im Krawall.
Hoffen wir, dass die geschmeidigen Digital Natives, die da friedlich für unser aller Zukunft eingestanden und eingesessen sind, nicht bald den rüden Ton von den Altvorderen abkupfern. Es ist höchste Zeit für ein neues neues Normal.
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