3449 mehr als im VorjahrZahl leer stehender Wohnungen auf Rekordhoch
78’832 Wohnungen standen am 1. Juni 2020 in der Schweiz leer. Städte wie Zürich oder Bern kennen das Problem der unbewohnten Wohnungen kaum. Doch in wenigen Gemeinden nahe der Zentren ist der Leerstand überraschend hoch.

Die Schweiz verzeichnet einen neuen Rekord: Die Leerstände bei Wohnungen, die am 1. Juni zur Dauermiete oder zum Kauf angeboten wurden, stiegen dieses Jahr erneut. Insgesamt standen in der Schweiz zum Stichtag der Erhebung des Bundesamts für Statistik 78’832 Wohnungen leer – 3449 mehr als 2019. Damit steigt die Leerstandsquote von 1,66 auf 1,72 Prozent .
Die Kantone Aargau (+365 Leerwohnungen), Basel-Landschaft (+125), Luzern (+46) oder Zürich (+200), verzeichnen einen höheren Leerstand als im Vorjahr. Die höchsten Anstiege wurden in den Grossregionen Tessin und Genferseeregion registriert. Den grössten Sprung machte der Kanton Waadt mit 1187 zusätzlichen Einheiten. Die meisten unbesetzten Wohnungen waren mit 10’678 Einheiten im Kanton Bern zu finden.
Grundsätzlich haben Gemeinden im Einzugsgebiet der Zentren weniger mit Leerstand zu kämpfen. Gute ÖV-Anbindung und bezahlbare Mieten machen diese Regionen attraktiv. Da überrascht bei Zürich die Goldküsten-Gemeinde Küsnacht mit einem Leerstand von 4,08 Prozent.
Die Gründe sind auf den ersten Blick nicht offensichtlich: Mit über 14’000 Einwohnern ist die Gemeinde relativ gross, die Anbindung an Zürich ist sehr gut und die Lage am Zürichsee begehrt. Dazu kommt, dass die Bautätigkeit in den letzten fünf Jahren im Schweiz-Vergleich unterdurchschnittlich war, während die Bevölkerung weiter wuchs. Dass die Leerstände im Vergleich zum Vorjahr (3 Prozent) sogar gestiegen sind, passt nicht recht ins Bild.
«Küsnacht ist eine hochpreisige Gemeinde, die steuerlich attraktiv und deswegen sehr begehrt ist.»
«Küsnacht ist eine hochpreisige Gemeinde, die steuerlich attraktiv und deswegen sehr begehrt ist», sagt Roman Ballmer, stellvertretender Chef der Immobilienberatungsfirma Iazi. Doch genau das führe zu exorbitanten Mieten, die von den Einheimischen vielfach nicht mehr bezahlt werden könnten.
Profitiert habe Küsnacht in den letzten Jahren mitunter von Expats, die sich die Mieten von ihren Unternehmen zahlen liessen. Doch auch das habe sich geändert: «Die Zahlungsbereitschaft der Firmen ist nicht mehr die gleiche, und wegen Corona zogen auch weniger Expats zu», erklärt Ballmer. So seien die leeren Wohnungen häufig im Hochpreissegment zu verorten.
Das dürfte sich so schnell nicht ändern, meint der Experte. Denn für die Immobilienbesitzer gelte es abzuwägen, ob sich eine Mietpreissenkung zur schnelleren Vermietung in der langen Frist lohne. «Bevor jemand monatlich auf 1000 Franken Mietertrag verzichtet, lässt er die Immobilie lieber leerstehen, um sie dann später zum gewünschten Mietzins und ohne langfristige Einbussen zu vermieten», sagt Ballmer.
Doch wann beschliesst man, die Mieten doch zu senken? In Küsnacht sei die Geduld wahrscheinlich grösser
als anderswo, meint Ballmer. Ein weiterer Aspekt spielt in Küsnacht dem Leerstand in die Hände: Wer sich eine Miete von 4000 Franken und mehr leisten könne, würde eher kaufen als mieten, sagt der Experte.
Überangebot an Wohnungen
Es sind die altbekannten Probleme, die den Leerstand in der Schweiz antreiben: Aufgrund des anhaltenden Tiefzinsumfelds lohne sich die Anlage in Immobilien weiterhin, sagt Robert Weinert, Leiter Immo-Monitoring der Immobilienberatungsfirma Wüest Partner. Dies führe zum Anlagedruck institutioneller Anleger, wie Pensionskassen und Versicherungen, die ihr Glück im Betongold suchten (lesen Sie zum Thema passend: Flaute im Immobilienmarkt).
Gebaut wurde oft dort, wo noch Bauland zur Verfügung stand. Und das ist abseits der Zentren und teilweise
an Orten mit schlechter Anbindung und Infrastruktur. So bleiben einige Neubauwohnungen leer.
Wie in Zürich findet sich auch bei Bern (0,56 Prozent) eine Gemeinde, die trotz Stadtnähe und guter Anbindung einen überraschend hohen Leerstand aufweist: 3,60 Prozent sind es im über 3000 Einwohner starken Stettlen. In den letzten Jahren gab es hier viele Zuzüger, auch die Bautätigkeit war hoch –überdurchschnittlich hoch. So kam es zu einem Überangebot an Wohnraum. Wobei die Quote seit vier Jahren mehrheitlich rückläufig sei, sagt Ballmer von Iazi.
Hoher Steuerfuss im Kanton Solothurn
Bei Basel-Stadt (0,95 Prozent Leerstand) fällt die Gemeinde Bättwil an der Grenze zu Frankreich mit einer Leerstandsziffer von 3,36 Prozent auf. Sie liegt im Kanton Solothurn – seit Jahren ein Hotspot des wachsenden Leerstands. Da scheint auch die Nähe zu Basel nicht zu helfen.
Solothurn ist schweizweit einer der unattraktivsten Kantone, wenn es um die Steuern geht. Das bekommt Bättwil zu spüren. Das Bevölkerungswachstum liegt bei null, gebaut wird trotzdem. Die Steuern sind im Vergleich zu den angrenzenden Gemeinden im Kanton Basel-Landschaft hoch. Wer ausserhalb der Stadt Basel wohnen will, zieht kaum nach Bättwil. Und das, obwohl das Stadtzentrum von dort nur eine Viertelstunde
mit dem Auto entfernt ist.
Homeoffice könnte Leerstand dämpfen
Der Corona-bedingte Trend hin zu mehr Homeoffice könnte diese bisher verschmähten Gemeinden etwas beleben, sagt Robert Weinert von Wüest Partner. Denn die Nachfrage nach Wohnraum steige in ländlichen Regionen aktuell an. Vor allem beim Wohneigentum könnten die ländlicheren Gebiete deutlich stärker gefragt sein.
Bei der UBS sieht man die Entwicklung, die Homeoffice auf den Immobilienmarkt haben könnte, kritisch: «Homeoffice dürfte dazu führen, dass sich das Nachfragewachstum gleichmässiger über die Schweiz verteilt und damit die Nachfrage nach Zentrumslagen dämpft», sagt Matthias Holzhey, Leiter Real Estate. Gerade Regionalzentren dürften von dieser Entwicklung profitieren. Mehr Nachfrage helfe natürlich, den Leerstand abzubauen.
Allerdings sei dies nur eine Seite der Gleichung, so der Experte: «Wenn der bestehende Wohnungsbestand unattraktiv ist, werden weiterhin Neubauten aus dem Boden schiessen, da diese sich dann trotz Leerstand vermieten lassen.» Für Solothurn und das Tessin erwartet Holzhey daher vorerst keine Wunder.
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