Terror in AfghanistanDer Konflikt zwischen Taliban und IS eskaliert
Nach einem schweren Bombenanschlag auf eine Moschee in Kabul gehen die neuen Machthaber Afghanistans militärisch gegen eine Zelle des Islamischen Staats (IS) vor.
Nach dem verheerenden Bombenanschlag auf eine Moschee in Kabul haben die Taliban offenbar begonnen, gezielt gegen mögliche Schläferzellen des sogenannten Islamischen Staats (IS) vorzugehen. Bei Razzien im Norden der afghanischen Hauptstadt kam es laut Agenturberichten zu regelrechten Gefechten. Die Taliban sprachen nach den teilweise stundenlangen Schiessereien von eigenen Erfolgen: Man habe eine grosse Zelle des «Islamischen Staats in Khorasan» – so nennt sich eine nur in Afghanistan operierende Gruppierung der Terrorgruppe IS – zerschlagen, dabei mehrere Militante getötet und andere gefangen genommen.
Der IS hatte den schweren Anschlag vom Sonntag zwar nicht für sich selbst reklamiert. Seine Täterschaft ist aber naheliegend. Der IS ist mit den ebenfalls radikalislamischen Taliban seit langem verfeindet, obwohl die ideologischen Unterschiede zwischen den Islamisten nicht wirklich gross sind. Im Gegensatz zu den Taliban verfügt der Islamische Staat aber über sehr wenig Rückhalt bei der einheimischen Bevölkerung. Unter den Kämpfern des IS, die für ihre auch für afghanische Verhältnisse besondere Brutalität berüchtigt sind, sollen viele ausländische Jihadisten sein.
Attentat mitten in Kabul
Bei dem Angriff auf die Eid-Gah-Moschee in der Innenstadt von Kabul, in der eine Trauerfeier für die Mutter von Talibansprecher Zabihullah Mujahid abgehalten wurde, waren mehrere Zivilisten gestorben. Genaue Opferzahlen wurden nicht bekannt gegeben. Das Attentat mitten in Kabul und dazu noch gegen eine Trauerfeier hoher Talibanvertreter ist für die neuen Herrscher ein schwerer Schlag. Bisher konnten die Taliban behaupten, mit ihrer eigenen Machtübernahme sei das Land wieder sicher geworden. Dafür sei ihnen die Bevölkerung dankbar und diese akzeptiere deshalb ihre rigide Herrschaft.
Doch der afghanische IS-Ableger bedroht diese Darstellung. Der IS hatte zwar bereits mehrere Anschläge gegen die Taliban verübt. Etwa ein Bombenattentat auf den Flughafen Kabul während der Evakuierung durch die US-Truppen; damals starben bei mehreren Explosionen an der Flughafenmauer 13 US-Soldaten und zahlreiche Afghanen. Auch in der Region Jalalabad war es zu mehreren Attacken auf Konvois der Taliban gekommen.
Das Moschee-Attentat in Kabul wiegt aber schwer, weil es einem der wichtigsten Führer der Miliz galt. Zabihullah Mujahid ist das bekannteste Gesicht der Taliban. Er tritt im Gegensatz zu Ministern und anderen Führern regelmässig öffentlich in Erscheinung; er erklärt und rechtfertigt die Politik der Gruppe. Zudem hält er als einer der wenigen hochrangigen Taliban Kontakt zu internationalen Medien.
Keine Rücksicht auf Zivilisten
Der IS ist seit 2015 in Afghanistan aktiv. Er will im Gebiet des heutigen Afghanistan eine «Provinz» Khorasan errichten; der Name selbst kommt aus der Zeit der arabischen Herrschaft über Zentralasien. Der sunnitische IS hat in den vergangenen Jahren vor allem die Schiiten in Afghanistan angegriffen, die ihm als islamische Minderheitensekte als Ketzer gelten. Er hat aber ebenso westliche Einrichtungen und Talibankämpfer attackiert und dabei keinerlei Rücksicht auf Zivilisten genommen.
Anzeichen dafür, dass Anhänger der Mitte August gestürzten Regierung von Präsident Ashraf Ghani das Attentat begangen haben könnten, gab es bisher nicht. Es war bereits spekuliert worden, dass ehemalige Soldaten und Offiziere der im August unterlegenen Regierungsarmee Afghanistans und der zahlenmässig sehr starken Polizeikräfte sich nun dem IS in Khorasan anschliessen und so dessen Kampfstärke entscheidend verbessern könnten.
Ehemalige Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter Afghanistans müssen die Taliban besonders fürchten. Die neuen Herrscher betrachten die meisten der ehemals Uniformierten wegen der früheren Zusammenarbeit mit den USA und den Nato-Truppen als «Verräter». Die Taliban haben zwar eine «Amnestie» ausgesprochen, diese gilt aber offenbar nicht für hochrangige Militär- und Polizeivertreter. Die Mehrzahl der Offiziere ist daher in den Untergrund geflohen und könnte beim IS Schutz suchen.
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