Kohäsionsmilliarde für EUDer grosse Plan fehlt, aber das Geld soll fliessen
Das Parlament soll die Geldzahlung an die EU rasch und bedingungslos freigeben. Das beantragt der Bundesrat – ohne Strategie zum weiteren Vorgehen.
Wie weiter in den bilateralen Beziehungen mit der EU? Das ist seit dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen die Frage. Die Antwort des Bundesrats: Er will Brüssel mit einer Geldzahlung besänftigen.
Was Aussenminister Ignazio Cassis schon im Juni angekündigt hatte, hat der Bundesrat nun beschlossen: Das Parlament soll die Bedingung zur Zahlung der Kohäsionsmilliarde streichen, die es erst 2019 beschlossen hatte. Gemäss dieser Bedingung sollte kein Geld fliessen, «wenn und solange die EU diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz erlässt».
Damals ging es um die Börsenäquivalenz, deren Anerkennung die EU verweigerte. Inzwischen hat die EU zusätzlich die Erneuerung des Abkommens über Medizinalprodukte verweigert und die Schweiz aus der Forschungszusammenarbeit ausgeschlossen (lesen Sie hier unsere Analyse zum Thema).
Trotzdem soll das Parlament nun die Bedingung aufheben. Er wolle damit «den Anspruch der Schweiz unterstreichen, auch ohne das institutionelle Abkommen eine zuverlässige und engagierte Partnerin der EU zu bleiben», schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft an das Parlament. Und er wolle den Beziehungen «einen neuen Impuls geben».
Forschungszusammenarbeit retten
Cassis will aber vor allem weiteren Schaden abwenden. Die EU sieht die Schweiz beim Kohäsionsbeitrag im Verzug und hat die Auszahlung jüngst als Voraussetzung für Fortschritte bei anderen Dossiers genannt – namentlich bei der Assoziierung an das Forschungsprogramm «Horizon».
«Kann der zweite Schweizer Beitrag weiterhin nicht umgesetzt werden, so ist damit zu rechnen, dass möglicherweise auch andere Dossiers negativ tangiert werden», schreibt der Bundesrat in der Botschaft ans Parlament. Mit der Aufhebung der Bedingung werde umgekehrt der Boden bereitet für einen Prozess mit der EU, der in blockierten Dossiers Fortschritte zeitigen könnte.
Die Rede ist auch von einer Negativspirale, die es zu durchbrechen gelte: «Mit der Beendigung der Verhandlungen entfällt an sich die Logik der Druckpolitik der EU, welche auf den Abschluss des institutionellen Abkommens gerichtet war.»
Die Kohäsionsmilliarde umfasst 1,3 Milliarden Franken, die über zehn Jahre ausbezahlt werden sollen.
Keine Angaben macht der Bundesrat dazu, wie er im Europadossier weiter vorzugehen gedenkt. Parlamentsmitglieder verschiedener Parteien kritisieren dies. Sie hatten gefordert, dass Bundesrat Ignazio Cassis mit der Botschaft zur Kohäsionsmilliarde zumindest einen Zeitplan vorlegt. In den Aussenpolitischen Kommissionen sind entsprechende Anträge vorgesehen.
So will FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann fordern, dass der Bundesrat vor der Herbstsitzung des EU-Ministerrates Vorschläge für ein mögliches weiteres Vorgehen zur Entspannung des Verhältnisses mit Brüssel unterbreitet, wie der «SonntagsBlick» berichtete.
Die Aussenpolitischen Kommissionen werden noch im August über die Freigabe der Kohäsionsmilliarde beraten. Geht es nach dem Bundesrat, sollen in der Herbstsession beide Räte entscheiden. Das Ratsbüro des Ständerates hatte sich zunächst gegen das dringliche Verfahren gesträubt. Nun hat es aber eingelenkt: Aktuell sei geplant, dass der Ständerat die Vorlage in der dritten Woche der Herbstsession berate, sagt Ratspräsident Alex Kuprecht auf Anfrage. Definitiv beschliessen werde das Ratsbüro Ende August.
Unklare Lage im Parlament
Der Ständerat wurde als Erstrat bestimmt. Der Nationalrat könnte das Geschäft als Zweitrat ebenfalls in der dritten Sessionswoche behandeln. Kommt es zu Differenzen zwischen den Räten, wären die Beratungen aber möglicherweise erst in der Wintersession zu Ende.
Geht es nach dem Bundesrat, sollte das Parlament unbedingt bereits in der Herbstsession entscheiden. Die Dringlichkeit ergebe sich daraus, dass Verpflichtungen auf der Grundlage des Rahmenkredits nur innerhalb von fünf Jahren eingegangen werden könnten, argumentiert er. Ausserdem sei das zugrunde liegende Bundesgesetz befristet.
Im Parlament ist die Aufhebung der Bedingung umstritten, doch bröckelt die Mehrheit jener, die 2019 für die Bedingung stimmten. In der FDP und der CVP betrachten viele die bedingungslose Freigabe der Gelder inzwischen als alternativlos. Die Kohäsionsmilliarde umfasst 1,3 Milliarden Franken, die über zehn Jahre ausbezahlt werden sollen. Der grösste Teil ist für Projekte in Osteuropa vorgesehen. Ein kleinerer Teil soll an Staaten gehen, die besonders von Migration betroffen sind.
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