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Globales Naturschutzabkommen 
Der Artenschutz-Deal hat bereits Folgen für die Schweiz

Zerschnitten und verkleinert: Viele Lebensräume in der Schweiz sind heute stark belastet. 
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Es ist das vielleicht ambitionierteste Naturschutzabkommen seit Jahrzehnten, das am Montag zustande gekommen ist. Die Schweiz gehört zu den 196 Staaten, die es gebilligt haben

Nur wenige Tage später zeigen sich bereits die ersten Konsequenzen aus dem Abkommen. Das Bundesamt für Umwelt kündigt an, dass die Biodiversitätsstrategie der Schweiz «überarbeitet und wo nötig erweitert werden soll». Denkbar ist, dass der Bund bei der Raumplanung vermehrt auf die Bedürfnisse der Biodiversität Rücksicht nimmt, etwa in Form neuer Schutzgebiete –
ein Szenario, vor dem es den Bauern graut. Das Abkommen von Montreal sieht unter anderem vor, dass bis zum Jahr 2030 30 Prozent der Landesfläche unter Schutz gestellt werden. Abzuwarten bleibt, ob der neue Umweltminister Albert Rösti (SVP) eine Verschärfung der Strategie mittragen wird. 

Offen ist auch, welche weiteren Folgen das Abkommen von Montreal zeitigen wird. Dass die Umsetzung schwierig werden dürfte, zeigt sich am Beispiel jener staatlichen Finanzhilfen, die nicht nur die beabsichtigten Ziele fördern, sondern darüber hinaus die Biodiversität schädigen, etwa im Verkehr oder im Tourismus. Bis 2025, so die Vereinbarung, sollen die Staaten solche Geldflüsse identifizieren und bis 2030 überarbeiten, reduzieren oder abschaffen. 

«Der Bundesrat muss den Turbo einschalten.»

Hasan Candan, Pro Natura 

Umweltverbände verlangen vom Bund nun eine rasche Reaktion. «Der Bundesrat muss den Turbo einschalten», sagt Hasan Candan von Pro Natura. Jan Schudel von Birdlife zieht einen Vergleich zur Klimapolitik: «Das rechtzeitige Handeln ist auch bei der Biodiversität billiger und wirksamer, als zuzuwarten und die Krise zu spät zu bekämpfen.» 

In der Schweiz ist mehr als ein Drittel der Arten bedroht oder bereits ausgestorben. Das Bafu bezeichnet den Zustand der Biodiversität als «unbefriedigend». Die bisherigen Bemühungen würden nicht ausreichen, um die Artenvielfalt in der Schweiz langfristig zu erhalten.

Den geforderten «Turbo» hat der Bundesrat bis jetzt aber nicht gezündet. Bereits vor zwölf Jahren hatte sich die Schweiz verpflichtet, biodiversitätsschädigende Subventionen bis 2020 abzuschaffen oder zumindest so umzubauen, dass sie ökologisch verträglicher werden. 

Dieses Ziel hat die Schweiz verfehlt – wie deutlich, haben unter anderem Fachleute der Forschungsanstalt WSL vor zwei Jahren aufgezeigt. In einer Studie kamen sie zum Schluss: In der Schweiz gibt es rund 160 umweltschädliche Subventionen in Höhe von jährlich mindestens 40 Milliarden Franken. Demgegenüber fliesst in die Förderung der Biodiversität etwa eine Milliarde pro Jahr, also 40-mal weniger. Die Liste ist lang, einige Beispiele: die Förderung des Wegebaus in der Landwirtschaft, die Wohneigentumsförderung durch Steuervergünstigungen oder die Befreiung der Treibstoffe von der CO₂-Abgabe. 

Der Bundesrat brauchte zwei Jahre, um seine Schlüsse aus der Analyse der Wissenschaft zu ziehen. Im letzten Sommer beauftragte er die Verwaltung, bis Ende 2024 acht Subventionen in der Landwirtschaft, der Waldbewirtschaftung und der Regionalpolitik «vertieft zu untersuchen».

Das sei ein wichtiger Anfang, aber viel zu wenig, sagt Hasan Candan von Pro Natura. «Der Bundesrat muss die restlichen Subventionen nun ebenfalls angehen.» Dies umso mehr, als sich die Schweiz in Montreal der Koalition der sogenannt ambitionierten Länder angeschlossen habe. 

Derzeit deutet jedoch nichts darauf hin, dass die Prüfung ausgeweitet und beschleunigt wird. Das zeigen Nachfragen bei involvierten Bundesämtern. 2024 werde die Bundesverwaltung dem Bundesrat eine Übersicht über die bisher erzielten Fortschritte bei der Beseitigung biodiversitäts­schädigender Anreize vorlegen, sagt Bafu-Sprecherin Rebekka Reichlin. Selbst wenn also die acht Subventionen bis dann untersucht sind: Reformiert oder abgeschafft sind sie damit noch nicht. Erst recht gilt dies für die übrigen 152 Subventionen, die der Bundesrat nicht auf die Liste gesetzt hat.

«Abwehrkampf» der Bauern?

Hinzu kommt: Vom heutigen System profitieren starke Interessengruppen wie Autofahrer, Flugreisende oder Bauern. Politischer Widerstand ist damit programmiert. Das zeigt das Beispiel Landwirtschaft. Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands, sagt, es gebe in der Landwirtschaft keine biodiversitätsschädigenden Subventionen mehr, entsprechend müsse auch nichts abgeschafft werden. «Die Beiträge und Direktzahlungen der Landwirtschaft fördern heute gemeinwirtschaftliche und nicht marktfähige Leistungen.» Ritter nennt etwa die Stärkung der Biodiversität, die Bewirtschaftung der Berg- und Sömmerungsgebiete, den Biolandbau und Tierwohlprogramme. Selbst die Rückerstattung der Mineralölsteuer für Traktoren und andere landwirtschaftliche Fahrzeuge habe einen starken Anreiz, Energie einzusparen. Sie werde pro Fläche und Kultur ausbezahlt. Je weniger Treibstoff gebraucht werde, desto mehr bleibe von der Rückerstattung. 

Ritters Einschätzung ist umstritten. Das Bundesamt für Landwirtschaft will sie nicht kommentieren. WSL-Expertin Lena Gubler, eine der Autorinnen der erwähnten Studie, bezeichnet die Aussagen des Bauernpräsidenten als «sachlich ungerechtfertigten Abwehrkampf». 46 umweltschädliche Subventionen hat sie in der Landwirtschaft ausgemacht, etwa den sogenannten Basisbeitrag, der nicht an biodiversitätsfördernde Auflagen gebunden sei, die Absatzförderung von Fleisch und Eiern sowie die Verkäsungszulage – alles Instrumente, welche die Intensivierung der Landwirtschaft zementieren oder fördern würden. 

Gubler attestiert den Bäuerinnen und Bauern, heute bereits durchaus einiges für die Erhaltung der Biodiversität zu tun. Dennoch bleibe die intensive Landbewirtschaftung eine wesentliche Ursache für die Zerstörung der Biodiversität; darauf verweise die Forschung seit Jahren. Und so haben laut Gubler die Bauern und Bäuerinnen mit abnehmenden Leistungen der Biodiversität zu kämpfen. «Zudem sehen sie sich mit zunehmender Kritik aus der Bevölkerung konfrontiert, denn oftmals werden sie – und nicht das Anreizsystem – für den Schaden an der Biodiversität verantwortlich gemacht.»