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Artensterben in der Schweiz
Diese Subventionen sind Gift für die Umwelt

Simonetta Sommaruga will die Biodiversität schützen. Die Realität zeigt etwas anderes. 
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Die Merian-Gärten am Stadtrand von Basel – das ist üppige Blütenpracht, grosse Pflanzenvielfalt: ein idealer Ort für ein Bekenntnis zum Schutz der Biodiversität, die stark schwindet – global, wie ein letzte Woche publizierter Bericht des Weltbiodiversitätsrats einmal mehr gezeigt hat, aber auch in der Schweiz. Hierzulande sind mittlerweile die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten bedroht.

Ein solches Bekenntnis hat Umweltministerin Simonetta Sommaruga denn auch abgegeben, als sie am 7. und 8. Juli ihre Amtskollegen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und Liechtenstein nach Basel unter anderem in die Merian-Gärten eingeladen hat. Es brauche konkrete Lösungen, so die SP-Magistratin. «Viele dieser Lösungen sind auf dem Tisch, es geht nun darum, sie umzusetzen – und zwar rasch.»

Nur: Sommaruga selber bremst – und mit ihr der Gesamtbundesrat. Konkret geht es um Subventionen, die nicht nur ihre beabsichtigten Ziele fördern, sondern darüber hinaus die Biodiversität schädigen. 2010 hat sich die Schweiz im Rahmen der Biodiversitätskonvention verpflichtet, diese Subventionen bis 2020 abzuschaffen oder so umzubauen, dass sie ökologisch verträglicher werden. 

160 umweltschädliche Subventionen – 8 werden geprüft

Doch dieses Ziel hat die Schweiz verpasst. Das konstatieren nicht nur Umweltverbände, sondern auch Sommarugas Fachleute im Bundesamt für Umwelt (Bafu).

Bereits 2020 hatten Experten Alarm geschlagen. Wissenschaftlerinnen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) sowie des Forums Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) hatten in einer Studie mehr als 160 umweltschädliche Subventionen identifiziert. Etwa die Förderung des Strassenbaus in der Landwirtschaft, die Wohneigentumsförderung durch Steuervergünstigungen oder die Befreiung der Treibstoffe von der CO₂-Abgabe. Mindestens 40 Milliarden Steuerfranken fallen für solche Subventionen an – pro Jahr. In die Förderung der Biodiversität fliesst dagegen mit jährlich etwa einer Milliarde Franken weit weniger.

Der Befund der Wissenschaft war eindeutig: Der Artenschwund lässt sich zumindest entschärfen, wenn künftig nur noch Subventionen gewährt werden, die der Biodiversität nachweisbar nicht schaden. Nur: Wie soll das politisch gehen? Vom heutigen System profitieren mächtige Interessengruppen, etwa Bauern, Autofahrer und Konsumenten. 

Die Umwelt-Allianz übt scharfe Kritik

Die Studie hat immerhin eine politische Debatte in Gang gesetzt. Nun, fast zwei Jahre später, hat der Bundesrat reagiert: Anfang Juni beauftragte er die Bundesverwaltung, Subventionen und Anreize «vertieft zu untersuchen». Von den mehr als 160 sind es aber nur 8 an der Zahl, dies in den Bereichen Landwirtschaft, Waldbewirtschaftung und neue Regionalpolitik des Bundes. Sommarugas Umweltdepartement und das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin werden nun den «Reformbedarf analysieren und bis Ende 2024 dem Bundesrat mögliche Vorschläge unterbreiten». 

Dokumente zeigen, dass in der Bundesverwaltung die Aushandlung darüber, welche Subventionen überprüft werden sollen, rund eineinhalb Jahre gedauert hat. Laut einem Insider wurde bei der Selektion der 8 Subventionen um viele hart gerungen. Das hat die Bereitschaft für Reformen womöglich gestärkt, sicher aber den Prozess verzögert.

«Es braucht nicht neue Papiertiger, sondern wirksame Massnahmen.»

Raffael Ayé, Birdlife Schweiz

Die Umwelt-Allianz, ein Verbund mehrerer Umweltverbände, übt jedenfalls scharfe Kritik. Die acht ausgewählten Subventionen müssten bis 2024 nicht nur vertieft betrachtet, sondern biodiversitätsfreundlich umgestaltet oder abgeschafft werden. «Es braucht nicht neue Papiertiger, sondern wirksame Massnahmen», sagt Raffael Ayé, Geschäftsführer von Birdlife Schweiz.

Auch die Förderung des Strassenbaus gehört zu den umweltschädlichen Subventionen: Ein Bauarbeiter in Mendrisio, im Tessin.

Offene Kritik kommt jetzt auch aus der Wissenschaft. WSL-Expertin Lena Gubler, Hauptautorin der zitierten WSL- und SCNAT-Studie, bezeichnet das Tempo als «begrenzt ambitioniert»: «Von Bedarfsabklärungen über Reformvorschläge bis zur Umsetzung der Reformen könnte viel Zeit verstreichen.» Sie attestiert dem Bundesrat zwar, mit seiner Auswahl auf durchaus gewichtige Subventionen zu fokussieren, deren Reform der Biodiversität zugutekäme. Sie bedauert aber, «dass aus dem Bereich Energie und Siedlung keine Subvention angeschaut wird und nur wenig im Bereich Verkehr».

Grossteil bleibt unangetastet

Tatsächlich hat das federführende Bafu 121 Subventionen vorzeitig aussortiert, wie Dokumente zeigen. Der Neubau von Nationalstrassen etwa wird nicht näher geprüft, weil die Bereitstellung solcher Infrastruktur «keine Subvention im eigentlichen Sinne ist». Kein Thema ist auch die Befreiung des Luftverkehrs von der CO₂-Abgabe, weil hier der «Subventionscharakter» fehlt. Ausgeschlossen bleiben auch die zahlreichen Steuervergünstigungen für privates Wohneigentum, weil diese Anreize grösstenteils kantonal geregelt seien. Die Liste liesse sich fast beliebig verlängern. 

«Es kann nicht sein, dass wir Steuerzahler die Umweltzerstörung finanzieren – und das Aufräumen dazu.»

Aline Trede, Grünen-Fraktionschefin

WSL-Expertin Gubler folgt dieser engen Definition des Subventionsbegriffs nicht: «In der Biodiversitätskrise, die wir zu bewältigen haben, sollten die negativen Effekte sämtlicher staatlichen Finanzflüsse minimiert werden.» Gerade in den Bereichen Verkehr oder Flächenverbrauch durch Siedlungen entfalle etwa die Hälfte der Subventionen auf Steuer- oder Abgabevergünstigungen. «Diese sind in den meisten Fällen nicht quantifiziert, sie entziehen sich somit auch einer parlamentarischen Kontrolle.» Man könne somit auch schlecht darüber verhandeln. 

Auch politisch bewertet

Agiert das Bafu, wie ihm manche Umweltschützer nun vorwerfen, beim Schutz der Biodiversität zu wenig entschlossen? «Bei einem solchen Unterfangen ist eine Priorisierung aus Effizienz- und Ressourcengründen üblich», entgegnet eine Sprecherin. Man habe dabei nicht nur die ökologische Relevanz berücksichtigt, sondern auch das Reformpotenzial sowie den «politischen Kontext». Und ist dabei zum Schluss gekommen, dass sich die Überprüfung auf eine «überschaubare Anzahl» an Subventionen beschränken müsse.

Die 8 Subventionen, die nun untersucht werden, weisen laut Bafu das grösste Reformpotenzial aus. Im Übrigen, so betont das Amt, würden bereits 5 Subventionen abgeschafft; die kostendeckende Einspeisevergütung für die Kleinwasserkraft zum Beispiel wird nun nicht mehr weitergeführt.

Das ändert freilich nichts daran, dass jetzt auch aus dem Parlament Druck für eine raschere und auch umfangreichere Reform kommt, namentlich aus links-grünen Kreisen. «Es kann nicht sein», sagt Grünen-Fraktionschefin Aline Trede, «dass wir Steuerzahler die Umweltzerstörung finanzieren – und das Aufräumen dazu.»