Bilanz zum Weltnaturgipfel COP15Das neue Naturabkommen kann nur ein Anfang sein
Die 23 Ziele, auf die sich die 196 Länder in Montreal einigten, bilden eine gute Basis, um den Artenschwund und den Verlust von Lebensräumen zu stoppen. Doch es muss noch viel mehr passieren.

Endlich einmal eine gute Nachricht für den krisengebeutelten Planeten: Die Welt hat ein neues Naturabkommen. Es ist nicht perfekt, aber es ist brauchbar und viel besser, als viele nach den zermürbenden Verhandlungen auf der Weltnaturkonferenz in Montreal erwartet haben. Die 23 Ziele, auf die man sich in der Nacht zum Montag doch noch einigen konnte, sind eine echte Chance, das Artensterben und den Verlust von Lebensräumen endlich zu stoppen – und so die Lebensgrundlagen der Menschheit zu sichern.
Ein starkes Signal geht von Ziel 3 des Montreal-Abkommens aus: 30 Prozent der Erde und 30 Prozent der Meere sollen bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden. Das ist wichtig, denn mit der Einrichtung von Schutzgebieten lassen sich gleich mehrere Ursachen für das Artensterben gleichzeitig bekämpfen: direkte wie Jagd und Wilderei, aber auch indirekte wie der Verlust von Lebensraum etwa durch das Abholzen von Wäldern oder das Entwässern von Mooren. Positiv ist auch, dass zudem 30 Prozent der bereits geschädigten Flächen renaturiert werden sollen.
Erfreulich konkret wird das Abkommen beim Thema Pestizide, deren Einsatz bis zum Jahr 2030 halbiert werden soll. Und fast schon mutig ist es, dass das schwierige Thema der umweltschädlichen Subventionen in Montreal nicht ausgeklammert wurde. Bis zum Jahr 2025 sollen die Mitgliedsstaaten Subventionen, die das Artensterben vorantreiben, identifizieren und beseitigen. Bis zum Jahr 2030 sollen dann 500 Milliarden US-Dollar jährlich so umverteilt werden, dass sie Biodiversität schützen, statt sie zu zerstören.
Fast schon mutig ist es, dass das schwierige Thema der umweltschädlichen Subventionen in Montreal nicht ausgeklammert wurde.
So vielversprechend das alles klingt: Leider sieht man dem Abkommen an sehr vielen Stellen auch die Kompromisse an, die nötig waren, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen. Dadurch sind Schlupflöcher entstanden, die die Wirkung erheblich abschwächen können, wenn sie genutzt werden. Beim 30x30-Ziel beispielsweise ist die ursprüngliche Formulierung, dass der Schutz «strikt» sein soll, in irgendeiner langen Verhandlungsnacht offenbar gestrichen worden. Jetzt steht da der dehnbare Begriff «effektiv». Zudem ist von «nachhaltiger Nutzung» die Rede, eine Formulierung, die dazu missbraucht werden könnte, Fischerei auch in Meeresschutzgebieten zu rechtfertigen oder das Abholzen von Bäumen in geschützten Wäldern.

Jetzt kommt es darauf an, was die einzelnen Länder aus dem Abkommen machen. Klar ist aber auch, dass eine noch so gute Umsetzung der 23 Montreal-Ziele leider nicht reichen wird, um die Welt zu retten. Um den Artenschwund zu stoppen und die Biodiversitätsbilanz vielleicht sogar wieder ins Plus zu drehen, muss noch mehr passieren. Was die Natur braucht, ist eine sozial-ökologische Transformation oder anders formuliert – die Gesellschaft muss sich ändern. Niemand sagt, dass das einfach wird. Aber es ist machbar.
Auch die Verbraucher sind gefragt
Problematisch ist, dass dann die Erträge zurückgehen – Schätzungen zufolge um etwa 30 Prozent. Hier kommen die Verbraucher ins Spiel, die ihre Ernährungsgewohnheiten umstellen müssen. Erstens, indem sie weniger Lebensmittel wegwerfen, und zweitens, indem sie weniger Fleisch essen. Wer sich bewusst macht, dass Landwirte für ein Kilogramm Rindfleisch 160-mal so viel Fläche brauchen wie für ein Kilogramm Kartoffeln, kann sich vorstellen, dass das immens viel bringen würde. Und keine Angst: Das heisst nicht, dass alle Vegetarier werden müssen, um die Welt zu retten. Es würde schon reichen, den Fleischkonsum um etwa ein Viertel zu reduzieren.
Tatsächlich wäre der Wandel wahrscheinlich in vielen Punkten weniger einschneidend, als viele befürchten. Wenn alle Komponenten ineinandergreifen, müsste sich gar nicht so viel verändern, um die Wende hin zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur zu schaffen und trotzdem noch einigermassen komfortabel leben zu können.
Das Montreal-Abkommen hat dafür eine gute Grundlage gelegt. Nicht mehr und nicht weniger. Jetzt kommt es darauf an, das Beste daraus zu machen. Und da ist nicht nur die Politik gefragt, sondern jeder Einzelne. Die Gefahren, die durch den Artenschwund drohen, sind immens. Jeder hat die Pflicht vorzusorgen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.