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Demonstrationen gegen die AfD
Deutschland geht auf die Strasse

MUNICH, GERMANY - JANUARY 21: People gather to protest against the far-right Alternative for Germany (AfD) political party on January 21, 2024 in Munich, Germany. Protests against the AfD and for defending democracy have been taking place across Germany over the past week following the recent revelation that high-ranking AfD members met with far-right extremists at a villa in Potsdam last November. According to the investigative media group Correctiv, whose members filmed and recorded portions of the gathering, politicians from the AfD, including AfD Bundestag parliamentarian Gerrit Huy as well as Roland Hartwig, a now former advisor to AfD co-leader Alice Weidel, and the German Christian Democrats (CDU)-linked Werteunion met with far-right extremists, including Austrian far-right activist Martin Sellner, and supporters of far-right causes, including Hans-Christian Limmer, founder of the Backwerk nationwide bakery chain. Participants at the meeting reportedly discussed how to possibly introduce legislative measures to enable the mass expulsion of immigrants from Germany, as well as German citizens with immigrant roots and German citizens who have helped refugees. (Photo by Johannes Simon/Getty Images)
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Es war ein Wochenende, wie es Deutschland schon lange nicht mehr erlebt hatte. Hunderttausende Menschen gingen gegen rechts und für die Demokratie auf die Strasse. Und mancherorts waren es sogar zu viele. Wie am Freitag in Hamburg musste am Sonntagnachmittag auch die Veranstaltung in München wegen zu grossen Andrangs abgebrochen werden.

Etwa 250’000 Menschen, zehnmal mehr als vorher angenommen, waren laut Veranstaltern gekommen. Die Polizei war eine Stunde nach Beginn der Kundgebung im Universitätsviertel noch von 100’000 Teilnehmern ausgegangen. Laut Durchsagen der Polizei konnten die Behörden nicht mehr für die Sicherheit der Teilnehmer sorgen.

«Lieber solidarisch als solide arisch»

Währenddessen waren in den Münchner U-Bahnen noch Tausende unterwegs zur Kundgebung am Siegestor. Engpässe gab es auch, weil parallel dazu in der Fröttmaninger Fussballarena eine Partie zwischen dem FC Bayern und Werder Bremen beginnen sollte.

Trotz grossen Gedränges war die Stimmung fröhlich und rücksichtsvoll. Auf Plakaten waren Slogans zu lesen wie «Lieber solidarisch als solide arisch» oder «Auf Mallorca aus Eimern saufen, den Strand vollkotzen und zu Hause die AfD wählen, weil sich Ausländer bei uns nicht benehmen können». Die Demonstrierenden wichen in Seitenstrassen aus, tauschten Tipps für Schleichwege aus.

Vorbei bei der rechtsextremen Danubia-Burschenschaft

Unter den Teilnehmern waren Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Tausende machten sich später auf den Weg in Richtung der ursprünglich vorgesehenen Demonstrationsroute, nämlich auf der Leopoldstrasse gegen Norden, wo die Danubia in einer herrschaftlichen Villa ihr Quartier hat. Die Burschenschaft gilt als rechtsextrem. Die Strasse wurde abgesperrt, Polizeihelikopter kreisten.

Rechtsextreme Umtriebe: Die Burschenschaft Danubia, die in der Potsdamer Straße ihr Domizil hat, wird vom Verfassungsschutz beobachtet.

München ist die Stadt der Lichterkette. Am 6. Dezember 1992 waren rund 400’000 Münchnerinnen und Münchner auf die Strasse gegangen, um gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Anlass waren damals die Brandanschläge gegen Asylunterkünfte. Es wurde die grösste Demonstration der Nachkriegszeit, das Bild von einer friedvollen Stadt, deren Plätze und Strassen von Menschen mit Kerzen und Laternen in den Händen beleuchtet wurden, ging um die Welt.

«Ganz Bremen hasst die AfD»

Auch in anderen Städten war der Andrang bei den Demonstrationen am Sonntag enorm. In Köln und Bremen waren es jeweils rund 50’000 Menschen. «Ganz Bremen hasst die AfD», riefen viele Menschen während der Kundgebung. Parteien, Gewerkschaften, Firmen und Fussball-Bundesligist Werder Bremen hatten zur Teilnahme an der Versammlung aufgerufen. Auch in Berlin wurde demonstriert.

Die Protestwelle hatte Anfang der Woche begonnen. Unmittelbarer Auslöser war ein Bericht des Medienhauses Correctiv über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa vom 25. November. Dabei sprach der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, nach eigenen Angaben über «Remigration». Damit meinen Rechtsextreme in der Regel, dass eine grosse Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll, auch unter Zwang. Am Treffen hatten mehrere AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen.

19.01.2024, Hamburg: Demonstranten stehen dicht gedrängt am Jungfernstieg. Mit der Demonstration gegen die AfD und Rechtsextremismus wollen die Teilnehmenden ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen. Wegen des großen Menschenandrangs musste die Demonstration mit rund 80.000 Teilnehmenden abgebrochen werden. Foto: Jonas Walzberg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Protest am Freitag in Hamburg hatte dann offenbar Signalwirkung. Eine Stunde nach Beginn musste die Demonstration auf dem Jungfernstieg aus Sicherheitsbedenken abgebrochen werden. 10’000 Menschen waren erwartet worden, zwischen 80’000 und 130’000 kamen, trotz Minusgraden und Glatteis. Die AfD Hamburg hatte noch versucht, die Veranstaltung zu verhindern, indem sie eine Fraktionssitzung anmeldete, dann hätte auf dem Rathausmarkt nicht demonstriert werden dürfen.

Am Samstag gingen die Proteste weiter, nach Zählungen der Polizei und der Veranstalter demonstrierten insgesamt mindestens 300’000 Menschen in allen Teilen des Landes, meist in grossen, aber auch in kleineren Städten. Fast überall kamen weit mehr Teilnehmer als angemeldet.

Dortmund, Stuttgart, Kassel, Braunschweig …

In Frankfurt sagte Oberbürgermeister Mike Josef (SPD), er sei «überwältigt» vom Anblick der vielen Menschen: «Wir stehen als Demokraten gemeinsam auf gegen die Menschenfeinde dieses Landes, hier bei uns in Frankfurt und in der Bundesrepublik.» Frankfurt vertreibe keine Menschen, sondern heisse sie willkommen. In Dortmund protestierten etwa 30’000, in Stuttgart 20’000, in Heidelberg 18’000 und in Kassel 15’000 Menschen gegen das Erstarken rechter Kräfte wie der AfD.

FRANKFURT AM MAIN, GERMANY - JANUARY 20: People gather to protest against the far-right Alternative for Germany (AfD) political party on January 20, 2024 in Frankfurt, Germany. According to the organizers, up to 50.000 people took part in the demonstration on Roemerberg, Paulsplatz and the Zeil shopping street. Protests against the AfD and for defending democracy have been taking place across Germany over the past week following the recent revelation that high-ranking AfD members met with far-right extremists at a villa in Potsdam last November. According to the investigative media group Correctiv, whose members filmed and recorded portions of the gathering, politicians from the AfD, including AfD Bundestag parliamentarian Gerrit Huy as well as Roland Hartwig, a now former advisor to AfD co-leader Alice Weidel, and the German Christian Democrats (CDU)-linked Werteunion met with far-right extremists, including Austrian far-right activist Martin Sellner, and supporters of far-right causes, including Hans-Christian Limmer, founder of the Backwerk nationwide bakery chain. Participants at the meeting reportedly discussed how to possibly introduce legislative measures to enable the mass expulsion of immigrants from Germany, as well as German citizens with immigrant roots and German citizens who have helped refugees. (Photo by Thomas Lohnes/Getty Images)

Kundgebungen gab es auch in Wuppertal, Braunschweig, Nürnberg und anderen Städten. In Karlsruhe, wo sich zwei der höchsten deutschen Gerichte befinden, zogen etwa 20’000 Menschen demonstrativ an Orten wie dem Platz der Grundrechte und dem Bundesverfassungsgericht vorbei. In Ostdeutschland wurde unter anderem in Halle (16’000 Teilnehmer) und Erfurt (9000) demonstriert.

In Koblenz machen FDP und CDU nicht mit

Einige Veranstaltungen wurden von einzelnen linken Gruppierungen organisiert, die meisten aber von breiten Bündnissen. «München ist bunt» etwa besteht aus 230 verschiedenen Organisationen aus allen Teilen der Gesellschaft. In Koblenz verweigerten FDP und CDU eine Beteiligung, weil die Linkspartei Teil des Bündnisses war, das unter dem Motto «Für die Demokratie – gegen den Faschismus» zu Protesten aufgerufen hatte. In den vergangenen Tagen hatten auch grosse Sportvereine, bekannte Sportler und Sportlerinnen sowie einige Unternehmen ihre Solidarität mit den Protesten gegen rechts erklärt.

21.01.2024, Bayern, München: «Die Veranstaltung wurde von dem Veranstalter beendet» steht auf einer auf ein Polzeifahrzeug montierten Anzeigetafel. Der Organisator einer Demonstration gegen rechts mit mindestens 80 000 Menschen in München hat die Veranstaltung wegen Überfüllung abgebrochen. Das sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Die Sicherheit der Teilnehmer sei nicht mehr zu gewährleisten. Die Polizei ging von mindestens 80 000 Demonstrierenden aus, der Veranstalter sprach von 250 000. Foto: Sven Hoppe/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Sven Hoppe)

Politiker der demokratischen Parteien reagierten mit Zustimmung und Erleichterung auf die Grossdemonstrationen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankte den Teilnehmern. Ihr Protest lasse erkennen, dass es in der Mitte der Gesellschaft «eine breite Allianz» gebe, sagte er beim Neujahrsempfang der NRW-CDU in Düsseldorf. Die schweigende Mehrheit melde sich zu Wort und zeige Flagge. Demokraten müssten gemeinsam Lösungen und Kompromisse finden, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. «Konsens und Kompromiss – das ist die grosse Stärke der Demokratie», sagte Wüst. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich bereits am Freitag in einer Videobotschaft erfreut darüber geäussert, dass Hunderttausende «Gesicht zeigen – für unsere Demokratie und gegen Rechtsextremismus».