Leitartikel zum Ukraine-KriegWas wollen die Amerikaner in der Ukraine genau erreichen?
Washington will Russland entscheidend schwächen und sagt das nun offen. Doch die Strategie bleibt schwammig: Die USA brauchen ein klares Ziel, sonst droht ein weiteres Debakel.
Schon mehrere Male ist das Weisse Haus zurückgekrebst, wenn US-Präsident Joe Biden den russischen Machthaber Wladimir Putin mit einem Kraftausdruck bedachte: als er ihn einen Killer nannte, als er ihn als Kriegsverbrecher bezeichnete, als ihm entfuhr, Putin könne doch nicht an der Macht bleiben. Es ist nicht offizielle Politik der USA, in Russland einen Regimewechsel herbeizuführen. Was Biden da sagte, das konnte nicht seine Wortwahl als Präsident sein.
Nun hat Verteidigungsminister Lloyd Austin die Diskussion neu entfacht: Die USA wollten verhindern, dass Putin wieder aufrüsten könne, sagte er nach einem Besuch in Kiew. Russland dürfe nie mehr zu Dingen wie der Invasion der Ukraine fähig sein. Die Worte des amerikanischen Verteidigungsministers sind aufgefallen, weil immer weniger klar ist: Welches Ziel verfolgen die USA und die Alliierten gegenüber Russland?
Russland hat in dem Krieg in der Ukraine schwere Verluste erlitten und musste seine Taktik ändern. Doch auch die westliche Unterstützung für die Ukraine hat sich in etwas mehr als zwei Monaten stark gewandelt. Zu Beginn, als kaum jemand auf die Ukrainerinnen und Ukrainer setzte, hatten Materialsendungen aus dem Westen den Charakter von Solidaritätsbekundungen, Deutschland etwa offerierte 5000 Helme. Auch Biden übte Zurückhaltung. Wohl schickte er Anti-Panzer-Raketen, aber keine schweren Waffen, um Russland nicht zu provozieren.
Niemand glaubt mehr daran, dass Putin sich mit Sanktionen zum Einlenken bewegen lässt.
Das änderte sich, als Putin mit jeder Rede irrere Drohungen ausstiess und Bilder russischer Gräueltaten auftauchten. Den Westen beeindruckt hat zudem der Verteidigungswille der Ukrainerinnen und Ukrainer. Nun konzentriert Russland seinen Feldzug auf den Donbass in der Ostukraine. Für diese zweite Phase des Kriegs erhält die Ukraine neu auch schwere Waffen aus dem Westen. Inzwischen bietet Deutschland Flugabwehrpanzer an, Biden liefert gepanzerte Fahrzeuge, Helikopter, Haubitzen. Die Beispiele veranschaulichen, wie sich die Strategie verändert hat – ohne dass das Ziel noch immer klar wäre.
Biden hat mehrfach versprochen, keine Soldaten in die Ukraine zu schicken. Doch er setzt fast alle anderen Hebel in Bewegung, die ihm zur Verfügung stehen. 14 Milliarden Dollar für Waffen und Hilfe hat der Kongress bereits bewilligt. Weitere 33 Milliarden Dollar beantragt Biden nun – das entspricht zwei Dritteln des russischen Verteidigungsbudgets. Amerikanische Instruktoren bilden Ukrainer in Polen an schweren Waffen aus, die USA stellen Militärinformationen zur Verfügung, dank denen die Ukrainer in dem Krieg überhaupt bestehen – und mindestens sieben russische Generäle ausschalten konnten. Mit Fug und Recht lässt sich darüber streiten, wie nahe an der Grenze zu einem Stellvertreterkrieg sich die USA bereits befinden.
Schon in Vietnam sind die USA allmählich und mit unklaren Zielen in einen Stellvertreterkrieg hineingerutscht. Ein ähnliches Szenario muss Biden vermeiden – und darum klar sagen, was er erreichen will. Erklärte Absicht hat die westliche Allianz mit den Sanktionen bisher nur eine: Russland mit Wirtschaftssanktionen zum Ende des Kriegs zu zwingen. Allerdings glaubt niemand mehr ernsthaft daran, dass Putin sich so zum Einlenken bewegen lässt. Nun wird das Land isoliert, auf unbestimmte Dauer, mit unbestimmtem Ende.
Ohne klare Ziele wird es dem Weissen Haus schwerfallen, in der Bevölkerung Rückhalt zu finden.
Die unbedarften Äusserungen aus dem Weissen Haus nähren den Verdacht, dass unausgesprochen ein Machtwechsel im Kreml eben doch das Ziel der USA ist. Selbstverständlich gäbe es Argumente dafür, das anzustreben: Mit Putin wird es kein sicheres Europa geben. Doch die Risiken wären enorm. Putin droht mit einem Atomkrieg; selbst wenn es gelänge, ihn abzusetzen, dürfte der Nachfolgestreit die Atommacht Russland ins Chaos stürzen. Einen solchen Kurs könnte die westliche Allianz nur gemeinsam einschlagen – und nicht die USA im Alleingang. Mit seiner Unklarheit nährt das Weisse Haus nun jedoch Putins Propaganda, eigentlich sei eine Schwächung Russlands das Ziel. Es schürt damit genau jene Gefahren, die es bisher vermeiden wollte.
Die Mehrdeutigkeit führt auch dazu, dass nur rudimentär über die Risiken der Strategie geredet wird. Am meisten Aufmerksamkeit erhält die Gefahr eines Atomkriegs. Doch stellt sich eine Vielzahl von Fragen. Wie lässt sich ein zweites Syrien noch verhindern? Auf welchen Schlachtfeldern werden die Waffen aus der Ukraine dereinst auftauchen? In den ersten zwei Kriegsmonaten fiel es leicht, solche Fragen aufzuschieben. Doch der Afghanistan-Einsatz hat belegt: Ohne klare Ziele wird es dem Weissen Haus mit zunehmender Länge und zunehmenden Kosten des Krieges schwererfallen, in der Bevölkerung Rückhalt zu finden.
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