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Krieg in der Ukraine
Nun redet auch Biden von Völkermord

Forensiker heben ein Massengrab bei der Andreas-Kirche in der ukrainischen Stadt Butscha aus. Hier wurden unter russischer Besatzung mutmasslich Kriegsverbrechen begangen.
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Russlands Krieg in der Ukraine stelle einen «Völkermord» dar. Das sagte US-Präsident Joe Biden am Dienstag mehrfach. «Ja, ich habe von einem Genozid gesprochen», sagte Biden am Rande eines Auftritts in Iowa. «Putin versucht, die Idee auszulöschen, dass man überhaupt ukrainisch sein könnte.» Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski applaudierte Bidens Wortwahl: «Wahre Worte eines wahren Anführers», schrieb er auf Twitter. «Die Dinge beim Namen zu nennen, ist unabdingbar, um sich gegen das Böse zu stellen.» (Lesen Sie die aktuellen Meldungen zum Krieg in der Ukraine.)

Biden verschärft damit nicht nur die Rhetorik. Mehrfach, etwa Anfang April, als Bilder der Leichen in den Strassen der ukrainischen Stadt Butscha publik wurden, hat er Putin als «Kriegsverbrecher» bezeichnet. Da allerdings lehnte es Biden noch ausdrücklich ab, den Begriff «Völkermord» zu verwenden. Dieser ist definiert als Tötung oder Verletzung mit der Absicht, eine bestimmte Gruppe auszulöschen.

«Putin versucht, die Idee auszulöschen, dass man überhaupt ukrainisch sein könnte.»

Joe Biden, US-Präsident

Warum also wechselt Biden jetzt zur neuen Bezeichnung? Sie ist von mehr als nur symbolischer Bedeutung. Erkennt die US-Regierung ein Verbrechen formell als Genozid an, lässt sie darauf üblicherweise Sanktionen, Reiseverbote und andere juristische Schritte folgen. Biden wollte sich noch nicht darauf festlegen, ob er auf einen solchen Prozess anspielte. «Wir werden die Anwälte auf internationaler Ebene entscheiden lassen, ob es die Schwelle überschreitet, aber auf mich wirkt es ganz sicher so», sagte er. (Lesen Sie, warum Putin vor ein Gericht gehört.)

Wo könnte Putin vor Gericht kommen?

Dennoch hat sich Biden mit seiner Bemerkung kaum nur den Frust von der Seele geredet. Vielmehr zeigte er, dass er und seine Regierung derzeit eine heikle Frage diskutieren: Wie kann die internationale Gemeinschaft sicherstellen, dass russische Befehlshaber und Ausführende für Kriegsverbrechen und Völkermord zur Verantwortung gezogen werden?

In der unter russischer Besatzung verwüsteten Stadt Butscha sammeln Forensiker aus der Ukraine und Frankreich gerade Beweise. Doch ist derzeit unklar, wo sich ein juristischer Prozess dereinst abspielen könnte, etwa in der Ukraine selbst oder auf internationaler Ebene. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat jedenfalls bereits Verfahren eröffnet.

Biden hat ebenfalls schon vor zehn Tagen verlangt, Putin vor ein internationales Gericht zu stellen. Die Einrichtung eines Sondertribunals wie jenes in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg ist mit vielen Unsicherheiten behaftet. Mit dem Gerichtshof in Den Haag jedoch arbeiten die USA nur sehr begrenzt zusammen: Sie wollen nicht akzeptieren, dass die internationale Strafinstanz auch amerikanische Bürger belangt – und damit auch amerikanische Kriegsverbrechen beurteilen könnte. Gleichzeitig stellen sich die USA schützend vor Israel, das den Strafgerichtshof ebenfalls nicht anerkennen will.

Bidens Regierung ist ambivalent

Die Ambivalenz behält die Regierung Biden vorerst öffentlich bei. Sicherheitsberater Jake Sullivan bezeichnete diese Woche im Fernsehsender ABC die mutmasslichen russischen Kriegsverbrechen als «etwas Geplantes». Nun müssten die USA mit ihren Alliierten und Partnern den sinnvollsten Weg finden, die Zuständigen zur Verantwortung zu ziehen. Der Strafgerichtshof habe in der Vergangenheit zur Beurteilung von Kriegsverbrechen gedient, aber es gebe auch Beispiele anderer Mechanismen.

Bisher hat der Kongress den Spielraum der Regierung stark eingeschränkt. Er hat ihr per Gesetz verboten, den Strafgerichtshof mit Geldern zu unterstützen. Die USA dürfen darum zum Beispiel auch keine Ermittler entsenden. Nun prüft die Biden-Regierung, inwiefern sie Den Haag trotzdem zuarbeiten könnte. Auch der Kongress scheint sich zu bewegen. Selbst Republikaner sind inzwischen der Ansicht, der Ukraine-Krieg rechtfertige eine Kursänderung. Senator Lindsey Graham will das Gesetz aufweichen: Künftig sollen die USA dann mit dem Strafgerichtshof zusammenarbeiten, wenn es um Verbrechen in einem Staat ohne funktionierendes Rechtssystem geht. Die USA und Israel etwa wären damit weiterhin ausgenommen; im Fall von Russland hingegen, wo für Putin und andere mutmassliche Kriegsverbrecher nach jetzigem Stand Straflosigkeit garantiert ist, würden die USA den Gerichtshof unterstützen.

Noch leistet das Pentagon Widerstand, doch Graham gab sich in der «New York Times» siegessicher: «Das ist eine von Putins grösseren Errungenschaften. Ich hielt es nicht für möglich, aber er hat es geschafft: den Internationalen Strafgerichtshof in den Augen der Republikanischen Partei und des amerikanischen Volks zu rehabilitieren.»

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