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Meinung

Kommentar zu Kriegsverbrechen
Putin gehört in eine Zelle

Führt einen Vernichtungskrieg in der Ukraine: Russlands Machthaber Wladimir Putin.
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Ben Ali hatte es gut. Seinen Lebensabend konnte der langjährige Diktator von Tunesien in Ruhe und Frieden am Roten Meer verbringen, in einem Luxus-Exil in der saudischen Hafenstadt Jidda. Seine Frau schrieb Memoiren, sein Sohn postete bei Instagram ein Foto des Ex-Despoten im Seidenpyjama, es zeigt einen zufrieden und gesund wirkenden Endsiebziger mit schwarz gefärbten Haaren. Als der Diktator 2011 aus seiner Heimat floh, soll er 1,5 Tonnen Gold mitgenommen haben – was natürlich nur ein schwacher Trost dafür war, dass er sich, so die Abmachung, nicht mehr politisch zu Wort melden durfte. Ben Ali trug es mit Fassung.

Idi Amin ebenfalls. Der einstige «Schlächter von Afrika» war bis zu seinem Tod 2003 noch einige Jahre lang Gast in Jidda. Er zog morgens im Pool des Hilton-Hotels seine Bahnen, liess sich mittags die Schultern massieren, und auch er hielt sich im Grossen und Ganzen an den Deal, auf dem sein Exil beruhte. Kein Wort mehr zur Politik, keine Machtspiele mehr – dafür Schutz und eine standesgemässe Apanage.

Soll man nun für den russischen Machthaber Wladimir Putin auch schon mal eine Villa hier aussuchen? Vielleicht mit einem Landeplatz für die Graceful, seine 80 Meter lange Jacht?

Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis aus Den Haag Haftbefehle kommen: gegen Putin und seinen engeren Führungskreis. 

Das ist kein Witz, das muss einem klar sein: Dies ist, grob umrissen, die Alternative, wenn der heutige Moskauer Herrscher nicht vor Gericht landen sollte. Als Kriegsherr in der Ukraine bricht er gerade so ziemlich jede Regel des humanitären Völkerrechts, einmal quer durch die Haager Landkriegsordnung. Juristisch betrachtet ist Wladimir Putin ein Straftatverdächtiger.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat bereits offiziell Ermittlungen wegen der russischen Kriegsführung eingeleitet, und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein – ein paar Monate oder ein paar Jahre –, bis von dort auch Haftbefehle kommen. Gegen Putin und seinen engeren Führungskreis.

Tod und Zerstörung in der Ukraine: Massengrab vor einer Kirche in Butscha.

Es stimmt schon: Es gibt ernst zu nehmende Bedenken dagegen, dem russischen Präsidenten nun wirklich mit Strafverfolgung zu drohen. Auf diese Drohung setzt US-Präsident Joe Biden deutlich offensiver, als dies bislang manche europäische Regierungen tun, indem er am Montag angesichts des Massakers an Zivilisten in der ukrainischen Stadt Butscha erstmals ausdrücklich gefordert hat, Putin vor ein Gericht zu stellen.

Es gibt Einwände gegen diese Strategie, sie stammen von Diplomaten auch aus Europa, die darauf hinweisen, dass man Putin damit in die Enge treiben würde. Dann, so warnen sie, werde es erst recht gefährlich.

Gerechtigkeit um jeden Preis kann teuer werden

Es stimmt auch: Es ist etwas anderes, ob man, wie in der Vergangenheit oft geschehen, einen bereits abgehalfterten Machthaber wie Slobodan Milosevic, den im Jahr 2000 gestürzten jugoslawischen Präsidenten, nach Den Haag entsorgt – oder ob man einem Wladimir Putin, der noch an der Macht ist und über Atomwaffen verfügt, derart den Ausweg abschneidet. Das kann weiteres Blutvergiessen bedeuten.

Es schmälert die Chancen, dass Putin bei Verhandlungen einlenken wird. Das Interesse an strafrechtlicher Aufarbeitung und das Interesse an Frieden stehen da in Konflikt miteinander. Das Beharren auf Gerechtigkeit um jeden Preis kann teuer werden.

Aber dann blicke man der Alternative ins Auge. Die Alternative – nach einer Trennung Wladimir Putins von der Macht in Russland – ist: eine Villa. Ein goldenes Exil. Sei es in einem fremden Land oder in seinem eigenen. Das ist das Szenario, mit dem man sich dann abfinden muss. Alles Gerede von humanitärem Völkerrecht, alle feierlich geschlossenen internationalen Abkommen gegen Völkermord, auch alle heiligen Schwüre bei der EU, der UNO oder anderswo, dass Kriegsverbrechen im 21. Jahrhundert wirklich als Verbrechen geächtet werden statt als Vorrecht starker Männer hingenommen zu werden, wären auf Jahre hin unglaubwürdig.

Vielleicht hilft ein Haftbefehl gegen Putin sogar seinen potenziellen Nachfolgern, ihn loszuwerden.

Ganz abgesehen von dem Hohn, den dies gegenüber den vielen Zivilisten bedeuten würde, zu deren Schutz diese humanitären Regeln geschrieben wurden, ist auch fraglich, ob etwas gewonnen wäre, wenn Amnestie und Luxus die Exit-Perspektive für Putin sein sollten: Wer sagt, dass ihn dies eher zu einem frühzeitigen Einlenken motivieren würde als die Aussicht auf eine Gefängnisstrafe?

Wer sagt, dass nicht andere Machthaber auf der Welt mit dieser hübschen Aussicht unbekümmert weitermorden, weiterfoltern, Spitäler bombardieren lassen? Vielleicht hilft ein Haftbefehl gegen Putin sogar seinen potenziellen Nachfolgern, ihn loszuwerden.

Es kann angesichts der Nachrichten aus der Ukraine kein Zweifel bestehen: Putin gehört in eine Zelle, und zwar besser heute als morgen. 10,4 Quadratmeter haben die Hafträume der Untersuchungshaftanstalt in Den Haag. Ein Bett, einen Tisch, eine offene Toilette. Es gibt dort alle Möglichkeiten, sich rechtsstaatlich zu verteidigen, in der eigenen Sprache und mit eigenen Anwaltsteams. Das muss reichen.