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Grossbritannien und Corona-Krise
Das Sorgenkind macht sich

Die Wirtschaft kommt auf der Insel so langsam in Gang: Eine Kellnerin bedient in London zahlreiche Gäste.
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Als Boris Johnson vor vier Wochen so gut wie alle Corona-Beschränkungen in England aufhob, konnte er selbst nicht wissen, ob der Plan wirklich aufgehen würde. Nun, einen Monat später, lässt sich zumindest aus ökonomischer Sicht sagen: So ganz falsch lag der britische Premierminister damit nicht. Wie es aussieht, hat das Vereinigte Königreich beste Chancen, schneller aus der Corona-Krise zu kommen als die meisten europäischen Staaten.

Am Dienstag gab es jedenfalls ein weiteres Indiz dafür, dass Grossbritannien auf dem richtigen Weg ist. Das Statistikamt ONS meldete, dass die Zahl der Beschäftigten im Juli um 182’000 gestiegen ist. Die Arbeitslosenquote in Grossbritannien sank damit überraschend von 4,8 auf 4,7 Prozent. Experten hatten mit keiner Veränderung gerechnet. Der britische Finanzminister Rishi Sunak nannte die Daten «vielversprechend». Das gilt auch für die jüngste Prognose des Internationalen Währungsfonds: Laut IWF soll die britische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um sieben Prozent steigen - und damit so stark wie jene der USA.

Dass es so kommen wird, ist längst nicht sicher. Noch immer gibt es allerlei Unwägbarkeiten. Aber aus Sicht von IWF-Chefökonomin Gita Gopinath ist eines klar: Die britische Wirtschaft hat sich besser entwickelt als noch im Frühjahr angenommen. Die Unternehmen hätten sich den Corona-Beschränkungen besser angepasst als erwartet, sagte Gopinath bei der Vorstellung der Prognose Ende Juli.

Die Menschen geben wieder mehr Geld aus

Während die Regierung die Corona-Regeln Schritt für Schritt lockerte, stieg vor allem eines: der Konsum. Viele Menschen hatten nach dem strikten Lockdown offenbar einen Nachholbedarf. Sie kauften neue Autos, liessen ihre Häuser renovieren und gingen wieder in Restaurants. Unter dem Strich wuchs das britische Bruttoinlandsprodukt von April bis Juni um 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Deutschland schaffte im selben Zeitraum lediglich ein Plus von 1,5 Prozent.

Trotz des Aufschwungs im ersten Halbjahr liegt die britische Wirtschaftsleistung noch immer 4,4 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von Ende 2019. Das ist auch nicht verwunderlich, schliesslich musste das Vereinigte Königreich 2020 einen historischen Absturz der Wirtschaftsleistung von zehn Prozent verkraften - so schlimm war es in den vergangenen 300 Jahren nicht mehr gewesen.

Beim Ausbruch der Pandemie sah es so aus, als ob Grossbritannien härter von der Seuche getroffen würde als andere vergleichbare Volkswirtschaften. Doch seit der erfolgreichen Impfkampagne der britischen Regierung hat sich das geändert. Mittlerweile haben 90 Prozent aller Erwachsenen die erste Impfung erhalten; 77 Prozent bereits die zweite. Was das Impfen von Kindern und Jugendlichen betrifft, ist Grossbritannien zurückhaltender als viele EU-Staaten. Von kommender Woche an erhalten nun 16- und 17-Jährige das Vakzin von Biontech/Pfizer. Wer jünger ist, darf nur dann geimpft werden, wenn es eine medizinische Notwendigkeit gibt.

Ein Gutschein für voll geimpfte Erwachsene

Um die Impfbereitschaft unter den jungen Erwachsenen zu steigern, gibt es nun immer mehr Firmen, die mit Gutscheinen werben. So bekommen Vollgeimpfte etwa bei lastminute.com einen Nachlass von 30 Pfund, wenn sie eine Auslandsreise über die Webseite buchen. Wer umsonst zu einem Impftermin fahren will, kann bei Free Now ein Taxi bestellen; der Fahrdienst-Vermittler verspricht Freifahrten im Gesamtwert von einer Million Pfund. Auch der Essenskurierdienst Deliveroo hat Vergünstigungen für vollgeimpfte Kunden angekündigt. Für die Unternehmen ist das natürlich Werbung in eigener Sache. Und Lob von der Regierung gibt es obendrein.

Das Vereinigte Königreich mausert sich besser durch die Corona-Krise als erwartet: Premier Boris Johnson liegt mit seiner Taktik zumindest ökonomisch nicht falsch.

Überhaupt spielen die Firmen eine immer bedeutendere Rolle in der Pandemie-Politik. Nachdem Premier Johnson so gut wie alle Corona-Beschränkungen aufgehoben hat, liegt es in der Verantwortung der Wirtschaft, Regeln zu setzen. So ist in England zwar die staatlich verordnete Maskenpflicht abgeschafft, aber die großen Supermarkt-Ketten bestehen weiter darauf, dass Kunden einen Mund-Nasen-Schutz tragen. An den Eingängen von Waitrose, Tesco oder Sainsbury's sind Türsteher positioniert, die Menschen den Eintritt verwehren, wenn sie keine Maske tragen.

Im Grunde kann nun jede Laden- und Restaurantbesitzerin selbst entscheiden, welche Auflagen sie ihren Kunden macht. Die Regierung hält sich mit neuen Regeln zurück. Fest steht bislang nur, dass für große Veranstaltungen ein Nachweis verlangt werden wird, ob man geimpft oder getestet ist. Auch beim Besuch von Nachtclubs muss man von Ende September an den Covid-Pass des britischen Gesundheitsdiensts NHS vorzeigen.

Hohe Inzidenz – aber das kümmert die Regierung kaum

Grosse Erleichterung gab es in der britischen Wirtschaft zum Beginn dieser Woche. Seit Montag müssen Vollgeimpfte, die Kontakt zu einem positiv auf das Coronavirus Getesteten hatten, nicht mehr in Quarantäne. Das hatte dazu geführt, dass Millionen Menschen in den vergangenen Monaten eine entsprechende Nachricht über ihre NHS-App auf dem Smartphone bekamen und zu Hause bleiben mussten. Die hohe Zahl an Isolierten führte dazu, dass etwa der U-Bahn-Verkehr in London eingeschränkt werden musste, da schlicht zu wenig Tube-Fahrer zur Arbeit erscheinen durften. Manche Pubs und Cafés mussten den Betrieb vorübergehend einstellen, weil ihr Personal in Quarantäne musste.

Damit ist es nun vorbei. Gut zwei Wochen vor dem Ende der Schulferien liegt die Inzidenz bei knapp 300, was die britische Regierung aber kaum kümmert. Als entscheidend gilt: Das Gesundheitssystem darf nicht überlastet werden. Solange die Zahl der Spitaleinweisungen auf niedrigem Niveau bleibt, droht auch keine Gefahr für die Wirtschaft, dass es zu einem erneuten Lockdown kommen könnte. Gut möglich also, dass die Unternehmer im Herbst eher wieder mehr mit den Folgen des Brexit beschäftigt sind als mit jenen der Pandemie.