Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenDas russische Staatsfernsehen spricht von Bürgerkrieg – und ruft zum Mord an Prigoschin auf
Die Putin-Propagandisten sorgen sich zunehmend um die interne Stabilität in Russland. Im Staatsfernsehen kritisieren sie zur besten Sendezeit gleich mehrere Dinge.
Die Fakten sind so klar, dass nicht einmal das russische Staatsfernsehen darüber hinwegtäuschen kann: «Gestern war ein sehr beängstigender Tag», eröffnete der russische Fernsehmoderator und Propagandist Wladimir Solowjow am Sonntag seine Fernsehsendung «Ein Abend mit Wladimir Solowjow» auf dem russischen Staatssender Rossija 1. Es ist die erste Ausgabe der beliebten Talkshow, seit Wagner-Anführer Prigoschin mit seinen Kämpfern am Samstag Richtung Moskau marschierte und später den Rückzug der Truppen verkündete.
Normalerweise serviert Solowjow – einer der prominentesten Propagandisten in Russland – den Zuschauern die übliche Propaganda-Leier, hetzt gegen die Ukraine, die Opposition, gegen den Westen. Verteidigt den Kreml und findet für allfällige Fehler der Regierung andere Verantwortliche. Doch in der Show vom Sonntag lag der Fokus ganz auf Russland und den fatalen Ereignissen, die sich in dem Land am Wochenende abspielten.
«Gestern passierte das Unvorstellbare. Ich war auf das Schlimmste gefasst», sagte Solowjow. Seine Gäste, die er zur Show eingeladen hatte, stimmten ihm zu. «Könnt ihr euch den Horror vorstellen, der auf den Strassen von Rostow hätte passieren können? Wenn die Tschetschenen für Russland gegen Russland gekämpft hätten?», fragte er in die Runde und spielte auf die entsandten Truppen des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow an, die gemeinsam mit der russischen Nationalgarde die Stadt gegen die Wagner-Kämpfer verteidigen sollten.
Vergleich mit der Oktoberrevolution
Während der Krieg in der Ukraine in russischen Staatsmedien offiziell nach wie vor eine «militärische Spezialoperation» genannt wird, machte Gast Margarita Simonjan, Chefredaktorin des Staatsfernsehsenders RT und ebenfalls bekannte Propagandistin, in der Sendung ungewohnt direkte Aussagen. «Es gibt nichts auf der Welt, was furchteinflössender ist als ein Bürgerkrieg», sagte Simonjan und verglich die Situation vom Samstag gar mit der Oktoberrevolution während des Ersten Weltkriegs, bei der es 1917 zur gewaltsamen Machtübernahme durch die Bolschewiken kam.
«Jemand muss zur Verantwortung gezogen werden für die Piloten, die gestorben sind.»
«Zuerst dachte ich, ich würde träumen», sagte Simonjan und fuhr fort, dass die bewaffnete Meuterei «in Mütterchen Russland» ein Déjà-vu ausgelöst habe. «Das ist schon mal passiert. Der Erste Weltkrieg war kurz davor, gewonnen zu werden. Und dann gab es einen bewaffneten Aufstand, der dazu führte, dass wir die Territorien verloren und das Land zerstört wurde.» Wenn man gegen den eigenen Bruder kämpfe, gebe es für niemanden einen Sieg, so Simonjan.
Morddrohung an Prigoschin
Ausserdem wurde auch Kritik an der Aufhebung des Haftbefehls gegen Prigoschin laut: Der pensionierte Generalleutnant Jewgeni Buschinski sagte in der Sendung, er sei zwar einverstanden damit, dass die Entscheidung, die getroffen worden sei, wohl die einzig richtige gewesen sei: «Trotzdem muss jemand zur Verantwortung gezogen werden für die Piloten, die gestorben sind.» Mindestens 13 russische Soldaten sollen bei dem Aufmarsch der Wagner-Gruppe getötet worden sein.
Noch direkter wurde der Dumapolitiker Andrei Guruljow: «Verräter müssen im Krieg vernichtet werden. Tatsache ist, dass die einzige Rettung für Prigoschin und Utkin eine Kugel in die Stirn ist.» Und schiebt dann eine Drohung nach: «Sie kennen mich und wissen, dass ich hinter jedem Wort stehe. Der einzige Ausweg für diese Freunde ist es, sich selbst umzubringen, bevor eine Kugel sie findet.» Moskauer Medien verkündeten am Montag, dass das Strafverfahren gegen Prigoschin doch noch nicht eingestellt worden sei.
Aufstockung der Streitkräfte
Lange wollte das Staatsfernsehen ein Bild der Stabilität aufrechterhalten, einer «Spezialoperation», die man vollständig im Griff habe. Doch jetzt zeichnen die Propagandisten zur besten Sendezeit eine andere Realität. «Dieser Krieg wirkt sich auf das ganze Land aus. Heute müssen wir uns auf alles vorbereiten», sagte Buschinski und übte dann sogar Kritik an der Regierung und damit auch an Putin selbst. «Es ist sehr unklar, warum das überhaupt passiert ist. Wo sind die Behörden, die davon im Voraus hätten wissen müssen? Die davor hätten warnen müssen? Und die frühzeitig hätten eingreifen sollen?»
Dass selbst Propagandachef Solowjow langsam an der internen Sicherheit zweifelt, die für Putin ein wichtiges Element seiner Politik ist, zeigte sich im Staatsfernsehen bereits am Samstag. In einer Liveshow rühmte Solowjow zwar erst die «zivile Reife» der russischen Bevölkerung, die sich nicht zur Teilnahme an rechtswidrigen Aktivitäten überreden lasse. Dann fuhr er fort: «Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen gefällt, was ich zu sagen habe. Wir müssen die Ressourcen der Nationalgarde drastisch aufstocken. Nicht nur an der Front, sondern auch im Land selber. Wir brauchen eine stufenweise Verteidigung, die wir im Fall einer Invasion auf dem Territorium der Russischen Föderation in höchste Alarmbereitschaft versetzen können.»
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