Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenDas russische Militär wirbt nun auch an Primarschulen für die Armee
Sie präsentieren ihre Waffen und zeigen Videos von der Front: Auf der Suche nach neuen Soldaten macht die russische Armee nun Werbeaktionen an Schulen und Universitäten.
Die russische Armee erleidet an der Front hohe Verluste. Deswegen versucht das russische Verteidigungsministerium laut dem britischen Geheimdienst seit Jahresbeginn, mit einer Kampagne die Zahl der Soldaten zu erhöhen, um eine neue Mobilmachung vermeiden zu können. Um neue Soldaten zu finden, wirbt das Militär nun sogar bei minderjährigen Schülern und Schülerinnen für Einsätze in der Armee.
Wie verschiedene unabhängige russische Medien berichten, werden seit mehreren Monaten russische Soldaten, die in der Ukraine gekämpft haben, an Schulen von Primar- bis Sekundarstufe, Gymnasien und Universitäten geschickt. Dort zeigen die Armeeangehörigen den Schülerinnen und Schülern Videos von der Front, lassen die Kinder und Jugendlichen Militäruniformen anprobieren und erzählen ihnen vom militärischen Leben und den Zielen der «besonderen Militäroperation», wie der Krieg in der Ukraine in Russland genannt wird.
Kinder sollten unter Vertrag in den Krieg ziehen
Das unabhängige russische Nachrichtenportal «Dovod» berichtete am Samstag, dass eine Schule in Wladimir, nordöstlich von Moskau, einen «Tag der Wehrpflichtigen» für Schüler der 10. Klasse veranstaltete. Den Kindern wurde nach Angaben des Portals «etwas über Chemikalienschutz, Erste Hilfe an der Front und Pionierarbeit» erzählt. Ausserdem wurden Waffen, Helme und Körperpanzer gezeigt. Auf Fotos von der Veranstaltung ist zu sehen, wie die Jugendlichen die auf einem Tisch ausgebreiteten Waffen begutachteten.
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Die Schulkinder – mutmasslich alles Minderjährige – besuchten in einem Stadion verschiedene Stationen, an denen Vorträge zu Kriegsthemen gehalten wurden. Einige der Referenten trugen Symbole der Wagner-Gruppe, wie ein Leser gegenüber «Dovod» berichtete. «An der Station ‹Vertragsdienst› wurde den Zehntklässlern eingeredet, dass der auf sie zukommende Wehrdienst sofort durch den Vertragsdienst ersetzt werden sollte», so die Quelle gegenüber dem Portal. Den Kindern wurde «dringend» empfohlen, unter Vertrag in den Krieg zu ziehen. Einer der Dozenten soll die Schüler sogar dazu aufgefordert haben, die Ukrainer zu zerstören.
Hunderte Berichte aus ganz Russland
Auch in anderen Teilen Russlands wurden solche Treffen durchgeführt: Die unabhängige russische Zeitung «Verstka» schreibt, dass es im April 2023 auf dem in Russland beliebten sozialen Netzwerk VKontakte Hunderte von Berichten über zurückgekehrte Armeeangehörige gab, die sich mit Kindern und Jugendlichen in Schulen, Hochschulen, Universitäten und patriotischen Clubs trafen.
Auch der 14-jährige Dmitry M., der in seinem Dorf Vizinga, 1200 Kilometer nordöstlich von Moskau, wohnt, nahm an seiner Schule an einem solchen Treffen teil. Der Soldat, der sie besuchte, habe ihnen ein Video von einem nächtlichen Gefecht an der Front gezeigt, so der 14-Jährige gegenüber «Verstka»: «Man konnte nichts sehen, nur die Explosionen waren zu hören. Die Soldaten haben Witze gemacht, und meine Klassenkameraden haben darüber gelacht. Es ist nicht schön, wenn Kindern der Krieg gezeigt wird und sie darüber lachen», so der Schüler.
Der Soldat habe keine schockierenden Geschichten über den Tod erzählt, sagte Dmitry gegenüber «Verstka»: Im Gegenteil, alles sei «ziemlich positiv» berichtet worden. Über den Zweck dieses Treffens konnte Dmitry nur Vermutungen anstellen: «Ich weiss nicht, was er von uns wollte. Er sagte, dass diejenigen, die das Land verlassen haben, Feiglinge seien. Vielleicht wollte er uns davon überzeugen, dass der Krieg richtig war.»
«Verstka» konnte den Soldaten namens Vayerovsky ausfindig machen, der die Schule von Dmitry besuchte. Er sei davon überzeugt, dass solche Treffen für die Kinder notwendig seien, so Vayerovsky: «Wenn sie die Explosionen hören und die Details erfahren, verstehen sie, dass unsere Männer uns trotz allem weiter verteidigen. Das beruhigt sie.» Der Hauptzweck dieser Treffen bestehe laut Vayerovsky darin, den Mut durch das Beispiel der Soldaten zu fördern, «durch ihre Sicht der Dinge aus den Schützengräben, nicht aus den Nachrichten». Die Liebe zum Heimatland müsste durch persönliche Beispiele vermittelt werden.
Vonseiten der Behörden wird die Eingliederung von Soldaten in das Bildungswesen aktiv gefördert: Wie das unabhängige Portal «Verstka» berichtet, kündigte im Februar Russlands Agentur für Jugendangelegenheiten ein Wiedereingliederungsprogramm für Soldaten an, die von der «militärischen Spezial-Operation» zurückgekehrt sind. Nach Angaben der Zeitung durchlaufen die Armeeangehörigen im Rahmen dieses Programms Umschulungskurse, um «in das patriotische Jugenderziehungssystem integriert zu werden». Später würden sie an Schulen, Universitäten, Jugendzentren und militärisch-patriotischen Clubs als Jugendbetreuer arbeiten.
Auch Wagner umwirbt Jugendliche
Doch nicht nur die russischen Behörden werben an Schulen für ihre Zwecke – auch die Wagner-Gruppe versucht Kinder und Jugendliche mit ihren Ideen zu indoktrinieren. Im März 2023 haben maskierte Wagner-Anwerber Moskauer Gymnasien besucht und dort «Karrieregespräche» mit den Schülern und Schülerinnen gehalten, wie der britische Geheimdienst berichtete. Sie verteilten zudem Fragebögen mit dem Titel «Bewerbung eines jungen Kriegers», um die Kontaktdaten interessierter Schüler zu sammeln.
Seit März 2023 habe Wagner an mindestens 40 Orten in ganz Russland aufsuchende Teams in Sportzentren eingerichtet, so der britische Geheimdienst. Wagner-Chef Jewegeni Prigoschin habe «den Zugang zur Rekrutierung in russischen Gefängnissen» verloren. Es sei zu erwarten, dass die Wagner-Gruppe ihre Rekrutierungsbemühungen nun zunehmend «auf freie russische Bürger» ausrichte.
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