Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und FragenWarum Prigoschin droht, seine Truppen aus Bachmut abzuziehen
Per Video kündigte der Chef der russischen Wagner-Truppen aufgebracht den Rückzug aus Bachmut an. Er beschuldigt den Kreml unter anderem, bewusst Munition für seine Männer zurückzuhalten.

Nachdem er in den vergangenen Monaten mehrfach die Kriegsführung des Kreml kritisiert hat, scheint es dem Wagner-Chef nun endgültig zu reichen: In einem am Freitag veröffentlichten Statement schreibt Jewgeni Prigoschin, dass er seine Truppen aus Bachmut abziehen werde. «Am 10. Mai 2023 sind wir gezwungen, die Stellung in der Siedlung Bachmut an die Einheiten des Verteidigungsministeriums zu übergeben und Reste der Truppen in hintere Lager abzuziehen, um unsere Wunden zu lecken.»
In dem Dokument nennt er ausführlich Gründe für den angedrohten Abzug seiner Truppen. Schuld seien unter anderem Munitionsknappheit und Probleme mit personellen Ressourcen. «Die Divisionen des Verteidigungsministeriums, die unsere Flanken decken sollen, haben grosse Mühe. Die angegebene Truppenstärke weicht stark von der tatsächlichen ab», so Prigoschin.
Ausserdem hätten die Wagner-Einheiten zu wenig Munition: «Aufgrund des Munitionsmangels steigen unsere Verluste exponentiell jeden Tag an.» Laut Prigoschin haben die «kriegsbefürwortenden Bürokraten» – damit meint er die Führung der russischen Armee – die Wagner-Truppe bereits seit dem 1. Mai «von praktisch jeglicher Artilleriemunition» abgeschnitten. Die Ressourcen für eine Offensive seien bereits Anfang April zur Neige gegangen, steht in dem Statement: «Aber wir rückten dennoch vor, trotz der Tatsache, dass die feindlichen Kräfte uns fünf zu eins überlegen sind.»
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Bereits am Donnerstag äusserte sich Prigoschin in einem Video zur Lage seiner privaten Söldnerarmee: In der zweiminütigen Aufnahme stampft der Wagner-Chef mit einer Taschenlampe in der Hand über ein dunkles Feld, überall liegen die Leichen von gefallenen Kämpfern. Dann wendet sich Prigoschin direkt an den russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow und schreit sichtlich aufgebracht und fluchend in die Kamera: «Uns fehlen 70 Prozent Munition. Schoigu, Gerassimow, wo, verdammte Scheisse, ist die Munition?» Anschliessend schimpft er weiter: «[Diese Männer] kamen als Freiwillige hierher, und sie sterben, damit ihr in euren Büros fett werden könnt.»
Kreml halte bewusst Ressourcen zurück
Gemäss Prigoschin hat die Militärführung bewusst die Ressourcen seiner paramilitärischen Truppe gekürzt. In dem am Freitag veröffentlichten Statement steht: «Es wurde der Versuch unternommen, eine künstliche Verknappung des Personals sowie eine künstliche Munitionsknappheit herbeizuführen.» Die Wagner-Truppe sei nämlich bei den «neidischen Kriegsbefürworter-Bürokraten» in Ungnade gefallen, als seine Kämpfer im September und Oktober 2022 zwei verschiedene Verteidigungslinien halten konnten, während die Streitkräfte der Russischen Föderation sich von verschiedenen Orten an der Front zurückziehen mussten.
Prigoschin ist dem Kreml wegen seiner offenen Kritik an der russischen Kriegsführung zunehmend ein Dorn im Auge. Die russische Politikwissenschaftlerin Tatjana Stanowaja schrieb im Februar in einem Aufsatz der «Moscow Times», dass Schoigu und Gerassimow Putin davon überzeugt hätten, Prigoschin sei eine Bedrohung für die Armee. «Prigoschins Verhältnis zum Staat ist informell und deshalb zerbrechlich. Und es könnte ohne Warnung zu Ende gehen.»
Der US-amerikanische Militärstratege Rob Lee sieht in der Rationierung der Munition zudem einen Hinweis darauf, dass das russische Verteidigungsministerium sich wahrscheinlich auf die ukrainische Gegenoffensive vorbereitet, wie er auf Twitter schreibt: «Das Verteidigungsministerium muss die gesamte Front verteidigen, aber Prigoschin kümmert sich nur darum, Bachmut zu übernehmen.»
Moskau reagierte am Freitag zurückhaltend auf Prigoschins Anschuldigungen. Kremlsprecher Dmitri Peskow kommentierte lediglich: «Wir haben das natürlich in den Medien gesehen. Aber ich kann das nicht kommentieren, weil es den Verlauf der militärischen Spezialoperation betrifft.»
20’000 Tote in fünf Monaten
Das Weisse Haus schätzte am Montag, dass das russische Militär in den letzten fünf Monaten bei Kämpfen in der Region Bachmut und anderen Gebieten der Ukraine hohe Verluste erlitten hat, und spricht von 80’000 Verwundeten und 20’000 Toten. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, sagte Reportern, die Hälfte der Toten seien Wagner-Söldner. Zu ihnen gehören auch Sträflinge, die Prigoschin in Gefängnissen für die Front angeworben hatte.
Bereits Mitte März erklärte Prigoschin, er werde seine Söldner aus Bachmut abziehen, ohne seine Drohungen jedoch wahr zu machen. Ob am 10. Mai der Wagner-Chef tatsächlich den Rückzug seiner Truppen anordnen wird oder ob es bei leeren Drohungen und Beschimpfungen an die Adresse des russischen Verteidigungsministers bleibt, wird sich zeigen.
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