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Ukraine-Blog: Fotos, Fakes und Fragen
Gerät das AKW Saporischschja demnächst unter Beschuss?

Derzeit ist eine gross angelegte Evakuierung von Zivilisten in der Region Saporischschja im Gange. Das nicht verifizierbare Bild zeigt Autos, die das evakuierte Gebiet verlassen. 
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Die Lage rund um das Atomkraftwerk Saporischschja spitzt sich weiter zu: Am Freitag verkündete Moskau, dass rund 70’000 Menschen aus achtzehn Siedlungen in der Region Saporischschja rund um das grösste Atomkraftwerk Europas «wegen des verstärkten Beschusses durch ukrainische Truppen» an sicherere Orte umgesiedelt werden. Betroffen von der Evakuierung sind laut Jewgeni Balitsky, dem Gouverneur des von Russland kontrollierten Teils der Region Saporischschja, Kinder mit ihren Eltern, ältere Menschen, Behinderte und Patienten medizinischer Einrichtungen. Man werde sie «weg von den Frontgebieten tief in die Oblast bringen». Balitsky betonte, dass dies eine Zwangsmassnahme sei, um die Sicherheit der Bewohner und Bewohnerinnen zu gewährleisten.

Die Region um das Atomkraftwerk ist seit Monaten Schauplatz von Kämpfen zwischen ukrainischen und russischen Streitkräften. Die Hinweise verdichten sich nun, dass das Kraftwerk ein mögliches Ziel der angekündigten Frühjahrsoffensive der Ukraine ist. Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, erklärte gegenüber der BBC, die Evakuierung von Anwohnern in der Nähe der Atomanlage deute auf die Möglichkeit schwerer Kämpfe zwischen russischen und ukrainischen Streitkräften um die Anlage des Kraftwerks hin. In einer Mitteilung der IAEA vom Samstag sagte Grossi: «Die allgemeine Situation in der Nähe des Kernkraftwerks Saporischschja wird zunehmend unberechenbar und potenziell gefährlich.»

Er sei äusserst besorgt über die sehr realen Risiken für die nukleare Sicherheit, denen das Kraftwerk ausgesetzt sei, so Grossi: «Wir müssen jetzt handeln, um die Gefahr eines schweren Atomunfalls und die damit verbundenen Folgen für die Bevölkerung und die Umwelt zu verhindern. Diese wichtige Nuklearanlage muss geschützt werden.»

Vorbereitungen für die Gegenoffensive

Auch weitere Hinweise deuten darauf hin, dass Russland mit baldigen Kampfhandlungen auf dem Gelände des Kraftwerks rechnet: Gemäss einem Bericht vom 3. Mai von der staatlichen ukrainischen Atomaufsichtsbehörde sollen die russischen Streitkräfte derzeit Militärausrüstung, Waffen und Sprengstoff auf dem Gelände des AKW anhäufen. Wladimir Rogow, Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung, dementierte diese Behauptungen. 

Unabhängig überprüfen lassen sich die Anschuldigungen nicht. Das in den USA ansässige Institut für Kriegsstudien vermutet, dass eine mögliche Stationierung von Militärausrüstung am Kraftwerk auf die Besorgnis der russischen Streitkräfte hindeutet, «die Kontrolle über die Anlage während der geplanten ukrainischen Gegenoffensive» nicht aufrechterhalten zu können.

Das AKW liegt in der Region Saporischschja, nahe der von den Russen kontrollierten Stadt Enerhodar.

Ende April 2023 hatte das britische Verteidigungsministerium zudem mitgeteilt, dass die russischen Streitkräfte auf den Dächern mehrerer der sechs Reaktorgebäude Sandsäcke und Schusspositionen errichtet haben. «Russland hat diese Stellungen wahrscheinlich aufgebaut, weil es sich zunehmend Sorgen über die Aussichten einer grösseren ukrainischen Offensive macht», so das Verteidigungsministerium. Dadurch erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Sicherheitssysteme des Kraftwerks beschädigt würden, wenn es zu Kämpfen auf dem Gelände komme. 

Sollte es zu Gefechten rund um das Kraftwerk kommen, gehe die grösste Bedrohung wahrscheinlich nicht von einem direkten Angriff auf einen Reaktor aus, wie das Londoner Militärforschungsinstitut RUSI in einem neuen Report schreibt. Die grösste Gefahr stelle vielmehr der Ausfall wichtiger Systeme – insbesondere der Wasser- und Energieversorgung – oder menschliches Versagen dar: «Das könnte zu einem ähnlichen Zwischenfall wie in Fukushima im Jahr 2011 führen.» 

Die Evakuierung von Zivilisten geht weiter

Derweil geht die Evakuierung in Saporischschja weiter. Der von Moskau eingesetzte Gouverneur Balitsky sagte am Samstag, die Evakuierung löse keine Aufregung aus: «Die Menschen verstehen, dass sie sich vor dem Beschuss im Süden der Region zurückziehen müssen, um ihr Leben zu retten. Alle Dienste arbeiten wie gewohnt.» 1679 Menschen, darunter 660 minderjährige Kinder, sind laut Balitsky bis zum Sonntag in ein temporäres Unterbringungszentrum gebracht worden. Die Menschen verliessen die gefährlichen Gebiete auch auf eigene Faust in privaten Fahrzeugen, so Balitsky.

Ein anderes Bild zeichnet die ukrainische Seite: Der ukrainische Bürgermeister des besetzten Melitopol, Iwan Fedorow, sprach am Freitag auf Telegram davon, dass die russischen Behörden «bewusst» eine Panik provozieren. Dazu teilte er ein Foto von Autos in einer langen Kolonne, die das evakuierte Gebiete verlassen. «Tausende von Autos müssen mindestens fünf Stunden warten», so Fedorow.

Die Menschen versuchen laut Fedorow massenhaft Medikamente und Gebrauchsgüter zu kaufen, was aber nicht mehr möglich sei, da viele Läden den Betrieb eingestellt hätten. Er sagte auch, dass die Spitäler Patienten vorzeitig auf die Strasse entliessen, weil sie befürchteten, dass die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen werden könnte, falls die Ukraine angreife. Nur ein Drittel der Evakuierungskonvois bestehe zudem aus Zivilisten, der Rest seien Soldaten in ziviler Kleidung. «Russland braucht Zivilisten als menschliche Schutzschilde», so Fedorow.

Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht. Balitsky verkündete am Sonntagabend, dass die Evakuierungsmassnahmen derzeit noch immer in vollem Gange sind. «Wir kommen planmässig voran, und die Dienste arbeiten in voller Bereitschaft, um die Menschen so schnell wie möglich in sichere Gebiete der Region Saporischschja zu bringen.»