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Geistertanker gefährdet Millionen
«Das Rote Meer bräuchte über 30 Jahre, um sich von den Folgen der Ölpest zu erholen»

«Tickende Zeitbombe»: Der Tanker FSO Safer liegt etwa 60 km nördlich des von Rebellen gehaltenen Hafens von Hudaydah vor Anker.
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Der UNO-Sicherheitsrat soll über die wachsende Bedrohung durch einen rostenden Öltanker vor der jemenitischen Küste im Roten Meer beraten. Wie die BBC berichtet, liegt die 45 Jahre alte FSO Safer etwa 60 km nördlich des von den Huthi-Rebellen gehaltenen Hafens von Hudaydah vor Anker. Der Tanker soll mit mehr als einer Million Barrel Öl beladen sein – die vierfache Menge an Rohöl, die bei der Havarie der «Exxon Valdez» 1989 vor Alaska ausgelaufen ist.

Experten warnen daher vor einer verheerenden Umweltkatastrophe, sollte das Schiff auseinanderbrechen. «Die Ökologie des Roten Meeres bräuchte über 30 Jahre, um sich von den schlimmen Folgen der Ölpest zu erholen», wird die Umweltorganisation Holm Akhdar zitiert.

Seit Beginn des Bürgerkriegs im Jemen vor mehr als fünf Jahren wurde das Schiff nicht mehr gewartet. Das Risiko, dass der Tanker auseinanderbricht, Feuer fängt oder explodiert, steigt täglich. Der «New Yorker» schreibt von einer «tickenden Zeitbombe».

«Die Situation ist vergleichbar mit der Explosion im Hafen von Beirut.»

Vor dem Krieg soll die staatliche jemenitische Firma, die das Schiff besitzt, jährlich etwa 20 Millionen Dollar in die Wartung des Schiffs investiert haben. Seitdem den Dampfkesseln im Jahr 2017 der Brennstoff ausging, gilt der Tanker jedoch als «totes Schiff».

Durch das Aussetzen des Kesselsystems wurde auch die Inertisierung auf dem Schiff eingestellt. Bei dem Vorgang wird das hochentzündliche Gas des Rohöls neutralisiert, wodurch Explosionen verhindert werden. Vor der Einführung dieses Explosionsschutzes detonierten Tanker in den 1970er-Jahren oft überraschend. Experten bezeichnen die FSO Safer deswegen als «Pulverfass». Ein Funke würde reichen, um eine gewaltige Explosion auszulösen. Lediglich eine kleine Crew an Bord versucht, den Tanker vor dem Schlimmsten zu bewahren.

«Die Situation ist vergleichbar mit der Explosion im Hafen von Beirut», schreibt der «New Yorker». Sechs Monate vor der tödlichen Detonation im August 2020 hätten Beamte die Behörden im Libanon auf die Gefahr aufmerksam gemacht. Trotzdem wurde nichts unternommen.

Ölpest mit verheerenden Folgen

Falls das Schiff sinkt, haben Experten zwei Szenarien ausgemacht. Entweder würde sich die FSO Safer Tanker von ihrer Verankerung lösen und gegen Felsen prallen oder der verrostete Rumpf des Frachters würde auseinanderbrechen. In beiden Fällen würde das Rohöl ins Meer auslaufen.

Dies hätte verheerende Folgen: Wie «The Guardian» berichtet, würde eine Ölpest den jemenitischen Fischbestand im Roten Meer innerhalb von drei Wochen zerstören. Dadurch würde nicht nur die Lebensgrundlage vieler Menschen in der Region zerstört, die von der Fischerei leben.

Einer Studie des Magazins «Nature Sustainability» zufolge müssten bereits zwei Wochen nach dem Auslaufen des Öls die Häfen von Hudaydah und Salif geschlossen werden. Über die beiden Häfen wird 38 Prozent des jemenitischen Treibstoffbedarfs geliefert. Experten befürchten, dass bei einem Ausfall der Lieferungen die Preise für Treibstoff im Jemen um 80 Prozent steigen würden. «Durch das Fehlen des Kraftstoffs für Wasserpumpen und die Verschmutzung von Entsalzungsanlagen würden rund zehn Millionen Menschen den Zugang zu fliessendem Wasser verlieren.»

Eine Ölpest würde auch die Lieferungen von Hilfsgütern beeinträchtigen. Über die Häfen von Hudaydah und Salif laufen rund 68 Prozent der humanitären Hilfe. Sollten die Häfen am Roten Meer aufgrund der Umweltkatastrophe schliessen müssen, würde der Studie zufolge die Nahrungsmittelhilfe für bis zu 8,1 Millionen Menschen beeinträchtigt werden.

Der Jemen ist stark abhängig von den grossen Häfen. Das Land mit seinen 30 Millionen Einwohnern befindet sich in einer schweren humanitären Krise. Zehntausende Jemeniten leben in Hungersnot. Zwanzig Millionen Menschen benötigen die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), um Zugang zur Grundversorgung zu erhalten. Über vier Millionen Menschen wurden vertrieben. Insgesamt importiert der Jemen 90 bis 97 Prozent seines Treibstoffs und 90 Prozent der Nahrungsmittelversorgung über das Rote Meer.

Das Kinderhilfswerk Unicef schätzt laut dem «New Yorker», dass bei einer längeren Schliessung des Hafens von Hudaydah 300’000 Kinder Gefahr laufen, an Hunger oder Krankheit zu sterben. «Es gibt keinen Plan B. Das wäre eine katastrophale Situation, wird ein Jemen-Spezialist der UNO zitiert.

Globaler Schiffsverkehr gefährdet

Hinzu käme eine hohe Luftverschmutzung, da erwartet wird, dass die Hälfte des Öls innerhalb von 24 Stunden verdunstet. Die Gase erhöhen das Risiko von Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. «Ölverschmutzungen verursachen bekanntermassen jedoch eine Vielzahl von Gesundheitsproblemen», heisst es in der Studie von «Nature Sustainability». «Das ohnehin unterversorgte Gesundheitssystem des Jemen könnte dadurch überlastet werden.»

Doch nicht nur der Jemen wäre von der Umweltkatastrophe betroffen. Das Öl würde sich auch in Saudiarabien, Eritrea und Djibouti ausbreiten. «Die Ölpest könnte den globalen Handel durch die lebenswichtige Meerenge Bab el-Mandeb behindern», warnen die Autoren der Studie. Durch die Meerenge laufen rund zehn Prozent des weltweiten Schiffsverkehrs sowie der Handel des Suezkanals. Falls die Schiffe wegen einer Ölpest umgeleitet werden müssten, käme es zu Verzögerungen der Lieferungen, wodurch die aktuellen Lieferengpässe verschärft werden würden.

Wenn Schiffe trotzdem durch das Rote Meer fahren würden, könnten diese einen Teil des Öls mit sich ziehen und die Verschmutzung dadurch ins Mittelmeer und bis nach Europa bringen.

«Zudem wird ein Grossteil des Öls, das bei einer Verschmutzung ausläuft, nie aufgefangen», sagt Ben Hu, Datenanalyst an der Stanford University, im BBC Podcast «Business Daily». So seien bei der Havarie der «Exxon Valdez» 1989 und der Explosion auf der Ölplattform «Deepwater Horizon» 2010, lediglich zehn bis 15 Prozent des Öls wiedergewonnen worden. «Die Schäden von ausgeflossenem Öl sind meist irreversibel.»

Gewässer sind mit Minen gespickt

Laut der «BBC» zufolge haben die Huthi-Rebellen am Sonntag zugestimmt, einem Team der UNO Zugang zu dem Tanker zu gewähren. Die Zeit drängt, denn vor kurzem ist Berichten zufolge Wasser durch ein Leck in den Maschinenraum des Tankers eingelaufen.

Der Einsatz ist nicht ungefährlich. Beobachter befürchten, dass die Rebellen Minen in den Gewässern rund um die FSO Safer platziert haben. Viele Küstenregionen unter der Kontrolle der Huthi seien auf diese Weise mit Sprengfallen versehen worden.

Die Rebellen und die UNO sind sich zudem über den Verkauf des Öls uneinig, dessen Wert auf 40 Millionen US-Dollar geschätzt wird. Die Vereinten Nationen wollen den Erlös des Verkaufs zwischen den Huthi-Rebellen und der jemenitischen Regierung aufteilen. Die Rebellen bestehen darauf, das Öl selbst zu verkaufen, um den gesamten Gewinn für sich zu beanspruchen.

Saudiarabien mischt mit

Im Jemen herrscht seit 2015 Krieg zwischen den von Saudiarabien und anderen Staaten unterstützten Truppen von Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi und den Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Zehntausende Menschen wurden getötet, Millionen mussten flüchten.

Berichten zufolge wendeten sich die Regierung des Jemen und die Huthi-Rebellen bereits Anfang 2018 unabhängig voneinander an die UNO und baten um Hilfe bei der Lösung der Safer-Krise. Nach mehreren Verhandlungen sollte schliesslich im August 2019 ein Team der Vereinten Nationen den Tanker inspizieren. Die Mission wurde von den Rebellen jedoch kurzfristig abgesagt. Erst seitdem das Leck entdeckt wurde, haben die Gespräche wieder Fahrt aufgenommen.

Neben der UNO arbeitet auch Saudiarabien energisch daran, die Gefahr einer Ölpest im Roten Meer einzudämmen. Das Königreich ist vor allem besorgt über die Auswirkungen einer möglichen Umweltkatastrophe auf die eigene Infrastruktur und den Tourismus. Das Öl könnte Entsalzungsanlagen an der Küste verschmutzen, die Meerwasser in Trinkwasser umwandeln. Durch solche Anlagen wird etwa die Hälfte des Trinkwassers Saudiarabiens gewonnen.