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Federgewicht Ana Milisic
Darum verzichtete die Boxerin gerne aufs «Schöggeli»

Die Weltspitze und das Olympia-Ticket sind jetzt in Reichweite von Boxerin Ana Milisic.
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Als Ana Milisic vor gut einem Jahr beschloss, sich als erste Schweizerin überhaupt bis zum olympischen Ring durchzuboxen, war Paris 2024 noch weit weg. Ihr Vorhaben, so ernst gefasst es auch war, liess sich damals noch einfacher träumen als planen. Das ist inzwischen anders. 

Die 24-jährige Federgewichtsboxerin vom BC Glattbrugg hat sich für die European Games Mitte Mai in Polen qualifiziert. Es ist heuer das grösste Boxturnier Europas und hält für die vier besten Athletinnen ihrer Gewichtsklasse bis 57 kg ein Olympia-Ticket bereit. Andere lassen sich an dieser Stelle kneifen, Milisic sagt: «Das ist wirklich ein Riesenschritt Richtung Paris. Wirklich.»

«Heute kann sie sich auch mit den Besten auf Augenhöhe messen.»

Timur Topçu, Trainer BC Glattbrugg

Timur Topçu, seit drei Jahren ihr Trainer in Glattbrugg, kann das bestätigen. Seiner Einschätzung nach hat die gebürtige Stadtzürcherin durchaus Chancen, mit dem Ticket in der Tasche von den European Games zurückzukehren. «Ana hat sich in den letzten Monaten enorm weiterentwickelt und kann sich heute auch mit den Besten auf Augenhöhe messen», betont er. Im Antizipieren sei sie schon als Anfängerin aussergewöhnlich gut gewesen. «Inzwischen hat sich ihr taktisches und technisches Verhalten aber nochmals enorm verbessert.»

Arbeiten seit drei Jahren im Ring zusammen: Ana Milisic und ihre Trainer im BC Galttbrugg, Timur Topçu (rechts) und Rajko Bojanic (im Hintergrund). 

Bedenken hatte der Trainer einzig, als Milisic Ende 2022 vom Schweizer Boxverband einer anderen Gewichtsklasse zugeteilt wurde. Da bei den Frauen an den Olympischen Spielen lediglich in sechs Kassen geboxt wird und der Verband mehrere Athletinnen in die Qualifikation schicken wollte, musste sie zu den Federgewichten wechseln und dafür drei weitere Kilogramm verlieren. Für die 1.75 Meter grosse Milisic ist unter 57 kg ein tiefes Gewicht. »Ich fragte mich schon, ob das gesund und ohne Kraft- oder Energieverlust zu schaffen ist», formuliert Topçu die anfängliche Sorge.

«Mit Reis, Poulet und Gemüse konnte ich das geforderte Gewicht erreichen, ohne Muskeln zu verlieren.»

Ana Milisic

Mit der Hilfe einer Ernährungsberaterin setzte Milisic den Plan aber schliesslich professionell und problemlos um. Vollständig auf Süssigkeiten und Fettiges zu verzichten, fand sie zwar anstrengend. «Doch mit Reis, Poulet und Gemüse konnte ich das geforderte Gewicht erreichen, ohne Muskeln zu verlieren.» Inzwischen sind kleine Sünden wieder erlaubt. Mit einem Essen im Freundeskreis oder einem Schöggeli darf Milisic die Grenze von 2000 Kalorien pro Tag zwischendurch auch mal sprengen. «Das macht es viel einfacher», sagt sie schmunzelnd.

Auch Timur Topçu ist zufrieden, gerade weil die Boxerin mit ihrer Kraft und den langen Armen gegenüber den meist kleineren Federgewichten nun einen Vorteil hat. Dass die besten ihrer Klasse für sie mittlerweile in Reichweite liegen, ändert indes nichts daran, dass es im Ring nicht immer reicht.

Der Name boxt mit

Ana Milisic hat in den letzten Monaten erfahren, dass Name und Herkunft im Boxsport schlagkräftiger sind, als es ihr als Newcomerin aus der Schweiz lieb sein kann. Jüngstes Beispiel ist das Halbfinalduell am prestigeträchtigen Turnier «Les Ceintures» in Paris. Milisic lieferte sich mit der einheimischen, zweifachen Europameisterin Caroline Cruvellier einen engen Kampf. Die Entscheidung der Punktrichter fiel zuerst knapp zu Gunsten der Zürcherin aus. «Die Franzosen sind darob fast durchgedreht», erinnert sie sich. Schliesslich wurde das Urteil noch gekehrt und die erfahrene Französin zur Siegerin erklärt – für Milisic ein Déjà-vu. Bereits im vergangenen Herbst hatte sie an der EM in Montenegro gegen die Litauerin Ana Starovoitova eine ähnlich bittere Niederlage nach Punkten kassiert.

«Ich selbst hab zuerst gar nicht begriffen, wen ich da geschlagen habe.»

Ana Milisic

Sie schildert die Ereignisse ohne Groll, hat daraus aber ihre Lehre gezogen: «Etablierte Gegnerinnen muss ich deutlich schlagen. Bei einer engen Kiste wird es schwierig für mich.» Was sie an dieser Stelle nicht sagt: Auch Milisic ist im internationalen Boxsport inzwischen kein No-Name mehr.

Ana Milisic konzentriert sich im Ring lieber auf sich selbst, als auf das Renommee der Gegnerin.

Als sie im vergangenen Herbst am hochkarätig besetzten Turnier von Sofia im Halbfinal unbeeindruckt die Topfavoritin bezwang, war sie plötzlich die Sensation des Tages. Sogar dem europäischen Boxverband war ihr Sieg gegen WM-Bronzegewinnerin Mokhinabonu Abdullayeva ein Artikel wert. «Ich selbst hab zuerst gar nicht begriffen, wen ich da geschlagen habe», erzählt Milisic lachend. Der Gedanke, dass sie mit ihren knapp 40 Kämpfen in den Fäusten in diesem Duell als klare Aussenseiterin galt, hatte im Ring keinen Platz. Sie will im Vorfeld jeweils gar nicht so genau wissen, was ihre Gegnerinnen schon alles geleistet haben. «Das macht mich lockerer.»

Nach Sofia sagt der Schweizer Nationaltrainer Federico Beresini: «Wir nähern uns immer mehr der Weltspitze an.» Und für Ana Milisic, seit 2020 im Schweizer Nationalkader, war es an der Zeit für einen Kassensturz.

«Ich brauche das Geld nicht, um mir schöne Sachen zu kaufen.»

Ana Milisic

Um eine ernsthafte Chance auf die Olympia-Qualifikation zu haben, sind Trainingslager, Sparringpartnerinnen, Ernährungsberatung, Athletik- und Mentaltraining unabdingbar – wie soll sie das finanzieren?

Während in anderen Ländern das Frauenboxen bereits etabliert und professionalisiert ist, arbeitet Milisic noch immer in einem 60-Prozent-Pensum als Sozialpädagogin in einem Behindertenheim in Herrliberg und trainiert nebenbei 20 Stunden pro Woche. Ihr Einkommen reicht für das tägliche Leben und die Wohnung, die sie mit ihrem Freund, einem Lüftungstechniker, teilt. Wenn sie aber an ein Turnier ins Ausland reist, sind schnell 1000 Franken weg. Will sie Sparringpartnerinnen in die Schweiz einladen, kostet auch das. Hinzu kommen die unbezahlten Ferien. «Über die Jahre ist mein Erspartes merklich geschrumpft», sagt Milisic und betont: «Ich brauche das Geld nicht, um mir schöne Sachen zu kaufen, sondern investiere jeden möglichen Franken ins Boxen.»

14 835 Franken für ihren Traum

Im Frühling ging Milisic mit ihrem Plan, als erste Boxerin für die Schweiz in den olympischen Ring zu steigen, an die Öffentlichkeit und lancierte ein Crowd Funding. 14 835 Franken hat sie so gesammelt und damit weit mehr als erwartet. «Es hat Momente gegeben, in denen ich vor lauter Glück und Dankbarkeit geweint habe», gesteht sie. Was Milisic besonders rührt, ist weniger der beeindruckende Gesamtbetrag, denn die solidarische Geste, die gerade auch in den kleinen Geldspenden steckt. Unter den 120 Spendern sind Lehrlinge mit geringem Lohn, Familien und zahlreiche Boxklubs aus der ganzen Schweiz. Letztere haben sich nicht lumpen lassen und mitunter dreistellige Beträge beigesteuert. Sie alle verhalfen der jungen Boxerin nicht nur zu den nötigen finanziellen Mitteln, sondern auch zur Erkenntnis, «dass viele Leute in der Schweiz grosse Hoffnungen in mich setzen.»